Verfassungsschutz ante portas: Der James Bond von Leipzig
Die Linke in der sächsischen Stadt glaubt, einen Agenten des Verfassungsschutzes in ihren Reihen enttarnt zu haben.
DRESDEN taz "Im Vertrauen der Genossen und Genossinnen untereinander", schloss Maximilian M. seinen jüngsten Rundbrief, in dem er sich über die Aufstellung der Linke-Liste zur Landtagswahl 2009 in Sachsen beschwert. Doch Vertrauen gibt es zwischen M. und den Genossen längst nicht mehr. Der Stadtverband der Linken in Leipzig stellte ihn in der vergangenen Woche zur Rede. Der Vorwurf: M. soll für den Verfassungsschutz arbeiten.
Der Bescholtene will zwar "nie für solche Dienste tätig gewesen sein". Beweise gibt es ebenfalls keine. Doch für den Stadtvorsitzenden und linken Landtagsabgeordneten Volker Külow erhärteten die Ausflüchte M.s und dessen sofortiger Austritt aus dem Stadtverband und seine Unerreichbarkeit danach aber den Verdacht. Zuvor hatten westdeutsche Genossen aus Arnsberg im Hochsauerland Külow auf die seit längerem bestehenden Verdachtsmomente gegen Maximilian M. aufmerksam gemacht.
Demnach soll es sich bei M. um eine schillernde Persönlichkeit handeln. Er gründete 2004 in Arnsberg das "Sozialforum - Bündnis für soziale Gerechtigkeit" mit, avancierte zu dessen Sprecher und organisierte Demonstrationen gegen Hartz IV. Eine erste Rolle gab er bei der kleinen PDS des Kreises Arnsberg. Zuvor war er von der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft der CDU zum linken Sozialforum gewechselt. Maximilian M. ist wegen Führens eines falschen Doktortitels rechtskräftig verurteilt worden, wie die Staatsanwaltschaft in Arnsberg bestätigt.
Für die größte Verunsicherung sorgt jedoch seine zeitweilige Nähe zur rechtsextremen Szene, die M. auch einräumt. Er sei im Auftrag des Verfassungsschutzes dort eingedrungen, begründet er später diesen Ausflug. Die Zusammenarbeit sei jedoch längst beendet. M. hat anscheinend keine Probleme, im Jahre 2005 umso radikaler die Seiten zu wechseln und das Bundesland gleich mit.
In Leipzig taucht er bei der Deutschen Kommunistischen Partei DKP wieder auf, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Er verfasst Presseerklärungen und berichtet in der regionalen DKP-Zeitung Lichtblick unter anderem über eine Veranstaltung mit dem Honecker-Nachfolger Egon Krenz, der über die "vorläufige Niederlage des Sozialismus in der DDR" räsoniert.
Sein Titel als "Dr. phil" ist plötzlich wieder da. Mit der DKP aber überwirft er sich. Die Gründungsphase der WASG kommt 2006 gerade rechtzeitig, um sich ihr anzuschließen. So landet M. bei der vereinigten Linken, und auch hier gleich an exponierter Stellte. Er ist Mitglied des Landesrates und in Leipzig Sprecher der Gruppe Arbeit und Soziale Gerechtigkeit. Aber gerade als solcher erregt er wiederum Verdacht. Mit der Forderung nach 150 Euro Weihnachtsgeld für Arbeitslosengeldempfänger spaltet er im November 2007 den Stadtverband, dessen Vorstand sich nach dem Austritt von vier Mitgliedern erst in diesem Frühjahr wieder konsolidiert.
Sowohl Genossen der Linken als auch Journalisten fiel M. durch seine zahlreichen unverlangt versandten Kommentare zu Partei- und Sozialproblemen auf. "Ein Hochstapler und Wanderer", heißt es im Stadtverband Leipzig, "der gut als Allzweckwaffe des Verfassungsschutzes taugen könnte." Der Leipziger Stadtverband forderte das Landesamt auf, alle Spitzel umgehend zurückzuziehen. Dort hält man sich bedeckt und äußert sich nicht "zu operativen Vorgängen". Die Landtagsfraktion der Linken kündigte mehrere Anfragen an die Landesregierung an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann