Verfassungsrichter über Pressefreiheit: "Nicht einschüchtern lassen"
Der Anfang April ausgeschiedene Verfassungsrichter glaubt nicht, dass der Staat die Meinungsfreiheit einschränkt. Besorgt ist er eher, dass Journalisten zur Selbstzensur aus ökonomischer Rücksicht greifen.
taz: Herr Hoffmann-Riem, Journalisten und Verleger haben sich zuletzt mehrfach beschwert, dass dem Gesetzgeber die Pressefreiheit nichts mehr wert sei
Wolfgang Hoffmann-Riem: Das habe ich auch gelesen. Pressevertreter verstehen es, ihre Anliegen ins Blickfeld zu rücken.
Und was sagen Sie zu solchen Vorwürfen? Beim Abhören von Telefonen werden etwa Geistliche und Abgeordnete besser geschützt als Journalisten. Ist die Pressefreiheit kein erstklassiges Grundrecht mehr?
Zunächst muss man ja mal feststellen, dass hier sogar eine Verbesserung für die Presse erreicht worden ist. Erstmals wird in der Strafprozessordnung ausdrücklich ein besonderer Schutz der Journalisten vor allen heimlichen Ermittlungsmaßnahmen der Polizei garantiert.
Aber die Telefone von Geistlichen und Abgeordneten dürfen nicht abgehört werden, wenn sie nicht selbst verdächtig sind. Bei Journalisten ist lediglich die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu prüfen. Wie ist diese Ungleichbehandlung zu rechtfertigen?
Gespräche mit einem Geistlichen betreffen den Kernbereich der Persönlichkeit, Gespräche mit einem Journalisten in der Regel nicht. Ein Abgeordneter ist gewählt und damit demokratisch legitimiert, ein Journalist ist das nicht. Es gibt also durchaus Unterschiede zwischen diesen Berufsgruppen. Der Gesetzgeber muss Journalisten nicht zwingend so behandeln wie Pfarrer und Abgeordnete. Er könnte es, aber er muss es nicht, das ist seine politische Entscheidung.
Erfordert nicht der hohe Rang der Pressefreiheit, dass Journalisten optimal geschützt werden?
Das Grundgesetz schützt ja nicht nur die Presse, sondern zum Beispiel auch eine effektive Strafverfolgung. Der Gesetzgeber muss beides abwägen, aber die Presse kann nicht immer Vorrang beanspruchen. Wie die Abwägung ausfällt, ist eben eine politische Entscheidung. Das Verfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn der Gesetzgeber den Korridor zulässiger Abwägungsergebnisse verlässt oder wenn Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte in der Praxis die Funktionsfähigkeit der Presse nicht genügend berücksichtigen.
So wie bei der Durchsuchung der Redaktionsräume der Zeitschrift Cicero?
Genau. Hier hat das Bundesverfassungsgericht den für die Presse so wichtigen Schutz der Vertraulichkeit von Informanten gestärkt. Eine Redaktion kann nicht schon deshalb durchsucht werden, weil sie ein geheimes Papier veröffentlicht hat, so unsere Entscheidung aus dem letzten Jahr. Die bloße Publikation einer geheimen Information schafft noch keinen Verdacht, dass Journalisten Beihilfe zum Geheimnisverrat geleistet haben.
Eine Entscheidung, die das Verhältnis von Staat und Presse fundamental verändert hat?
Na ja, ganz so häufig waren Redaktionsdurchsuchungen ja auch vorher zum Glück nicht.
Der Deutsche Journalistenverband hat eine Liste mit rund 150 Polizeimaßnahmen gegen Redaktionen vorgelegt
Wir haben das nachrecherchiert, das war eher eine Luftblase. Der Verband hat da alles Mögliche zusammengezählt, darunter waren nur sehr wenige Durchsuchungen wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Geheimnisverrat. Aber in der Öffentlichkeit und bei den Medien hat die Zahlen wohl niemand in Frage gestellt. Das fand ich etwas traurig. Auch die Kritik an der Zeitschrift Cicero war doch recht leise.
Kritik an Cicero? Die Redaktion war doch das Opfer einer Polizeidurchsuchung
Natürlich, und dagegen hat sie sich zurecht gewehrt. Aber muss man unbedingt die Mobilfunknummer eines Terroristen veröffentlichen, nur um zu belegen, dass man aus einem geheimen Bericht zitiert? Wenn so die Arbeit der Polizei mutwillig gefährdet wird, diskreditiert dies auch den Beruf des Journalisten. Da hätte ich etwas mehr öffentliche Selbstkritik von Ihrem Berufsstand erwartet.
Stuft der Staat nicht viel zu viele Dokumente als "geheim" ein?
Ja, das ist ein echtes Problem. Wir hatten neulich in unserer Entscheidung zur Kfz-Kennzeichen-Kontrolle auch eine polizeiliche Dienstvorschrift zu prüfen, die als "Verschlusssache" eingestuft war. Und wir haben sie ausführlich in unserem Urteil zitiert, nachdem die Regierung sie uns mitgeteilt hatte.
War diese Veröffentlichung denn nicht ein Akt des zivilen Ungehorsams?
Nein. Da diese Vorschrift den Begriff der "Fahndung" umschrieb, der für unsere Entscheidung zentral war, konnten wir sie nicht verschweigen.
Verleger und Journalisten sehen den Schutz von Informanten auch dadurch gefährdet, dass Telefongesellschaften seit Jahresbeginn sechs Monate lang speichern müssen, wer wen angerufen hat. Eine große Gefahr für den Informantenschutz?
Da haben wir Ende März ja einen Eilbeschluss erlassen und sichergestellt, dass diese vorratsgespeicherten Daten bis zum Urteil nur zur Ermittlung bei schweren Straftaten an die Strafverfolgungsbehörden herausgegeben werden dürfen. Das schützt auch die Presse. Schließlich ist der mögliche Geheimnisverrat durch einen Informanten keine schwere Kriminalität.
Haben Sie mit diesem Beschluss Abbitte geleistet, weil Sie 2003 den Zugriff auf die für Abrechnungszwecke gespeicherten Telefonverbindungsdaten von Journalisten zugelassen haben?
Überhaupt nicht. Ich stehe nach wie vor zu der Entscheidung von 2003, die ich vorbereitet habe. Es ging damals immerhin um die Erfassung von Tätern, die wegen Mordes und wegen eines milliardenschweren Betrugsfalls gesucht wurden. Wenn die Polizei konkrete Anhaltspunkte hat, dass Journalisten mit solchen Straftätern in Verbindung stehen, dann darf sie auch versuchen, mit Hilfe ihrer Telefonverbindungsdaten den Aufenthaltsort des Gesuchten ausfindig zu machen.
Warum haben Sie nicht einmal einen besonderen Schutz der Presse eingefordert?
Wir haben etwas viel Fortschrittlicheres gemacht. Wir haben für alle Bürger eine Erhöhung der Schwelle für den Zugriff auf Verbindungsdaten verlangt. Nur bei erheblichen Straftaten und hinreichend konkreten Anhaltspunkten soll die Polizei diese sensiblen Daten herausverlangen dürfen. Das nützt zwar nicht ausschließlich, aber eben auch den Journalisten.
Auf Kritik stieß auch Ihr Stolpe-Beschluss von 2005. Wer sich von einer mehrdeutigen Äußerung in Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt, kann nun eine Klarstellung verlangen, dass ein zulässiger Aussageinhalt gemeint war. Taz-Anwalt Jonny Eisenberg sieht "lebensbedrohende" Prozessrisiken auf Medien zukommen. Die taz hat deshalb bereits einen Prozesskostenfonds eingerichtet. Beunruhigt Sie das?
Ich hoffe, Sie werden die Summe zukünftig einmal für einen Betriebsausflug nutzen können. Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu mehrdeutigen Äußerungen ist äußerst liberal. Wenn eine strafrechtliche Sanktion droht, dann ist im Zweifel die für den Beschuldigten günstigere Deutung der Aussage zugrunde zu legen. Das schützt die freie Rede, auch in der Presse. Es ist aber ein erheblicher Unterschied, ob es um eine nachträgliche Sanktion für eine Äußerung geht oder um deren mögliche Wiederholung. Es ist doch nicht unverhältnismäßig, wenn für die Zukunft der Betroffene vor der Verurteilung zur Unterlassung klarstellen kann, was er gemeint hat. Wenn danach noch eine Persönlichkeitsverletzung im Raum steht, wird er auch zu Recht verurteilt. Ich finde, wir haben hier eine Gerechtigkeitslücke geschlossen.
Kann es nicht einschüchternd auf Journalisten wirken, wenn sie nach jedem kritischen Beitrag von einem Betroffenen zur Klarstellung aufgefordert werden könnten?
Journalisten sollten sich nicht so leicht einschüchtern lassen. Und wer an der Grenze zur Persönlichkeitsverletzung schreibt, muss eben damit rechnen, dass der Betroffene wissen will, ob diese Grenze überschritten werden sollte. Es geht nicht, dass die Presse alles darf und sich Betroffene nicht wehren dürfen.
Die Kosten des Klarstellungsverfahrens trägt der Journalist oder die Zeitung
Dass die Kosten für Abmahnungen und Ähnliches teilweise zu hoch sind, ist richtig. Das hat aber nicht das Verfassungsgericht verursacht, das beruht auf der Rechtsprechung der Zivilgerichte. Hier besteht Anlass, über eine Korrektur nachzudenken.
Sehen Sie heute größere Gefahren für die Pressefreiheit durch den Staat oder durch Private?
Die Gefahren durch den Staat werden meist überschätzt. Sollten heute Staatsvertreter die Presse durch Anrufe beim Verleger oder durch Polizeimaßnahmen einzuschüchtern versuchen, dann geht das doch in der Regel nach hinten los, weil sich sofort die gesamte Presselandschaft solidarisiert. Heute wird die Schere im Kopf der Journalisten weit weniger aktiviert, um politisches Anecken zu vermeiden, wohl aber aus ökonomischen Rücksichten. Besorgniserregend sind vor allem die subtilen Gefahren, die entstehen, wenn Zeitungen von Finanzinvestoren übernommen und als reine Renditeobjekte geführt werden.
Könnte der zunehmende Einfluss von Finanzinvestoren auch ein Thema für das Verfassungsgericht werden?
Erst wenn die Leistungsfähigkeit des Mediensystems, insbesondere die publizistische Vielfalt, insgesamt gefährdet ist. Das sehe ich derzeit nicht. Das Mediensystem insgesamt mit Fernsehen und Internet wird ja eher vielfältiger.
Ausländische Investoren wie David Montgomery bei der Berliner Zeitung oder Haim Saban bei Pro 7 kamen zum Zuge, nachdem das Kartellamt die Kooperation deutscher Medien-Unternehmen untersagt hat. Sollten wir das Kartellrecht lockern, um Finanzinvestoren weniger Chancen zu geben?
Nein. Das Kartellrecht sichert zwar nicht publizistischen Wettbewerb. Aber auch die Sicherung ökonomischen Wettbewerbs ist im Medienbereich wichtig. Ich möchte nicht in der Haut der Kartellwächter stecken, wenn sie Kooperationen von publizistisch geführten Einheiten wie der Berliner Zeitung und des Tagesspiegels untersagen und damit Finanzinvestoren den Weg ebnen, denen der ökonomische Erfolg wichtiger ist als die publizistische Qualität. Eine solche Entscheidung mag in der Logik des Kartellrechts liegen, zeigt aber, dass dieses der Logik der Medienordnung allein nicht gerecht wird.
INTERVIEW CHRISTIAN RATH
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