Verfassungsklage nach Lehmann-Pleite: Geschädigte will unter Rettungsschirm
Eine Rentnerin, die 40.000 Euro mit Lehman-Zertifikaten verloren hat, geht in Karlsruhe gegen den Bankenrettungsfonds vor. Er verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Die 68-jährige ehemalige Zahnarztangestellte Hannelore Sporberg will es mit der Bundesregierung aufnehmen. Über die Rechtsanwaltskanzlei Mattil und Kollegen hat die Münchnerin Verfassungsbeschwerde gegen das Finanzmarktstabilisierungsgesetz eingelegt. Sie verlangt, auch als Privatperson unter den Rettungsschirm für die Banken genommen zu werden. Dabei beruft sie sich auf den Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 des Grundgesetzes. "Es ist verfassungswidrig, wenn Banken toxische Papiere, die ihre Bilanzen belasten, an den Soffin auslagern dürfen, Privatanleger aber nicht, die die gleichen Papiere gekauft haben", sagt Rechtsanwalt Peter Mattil.
Nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers im Herbst, nach dem die Hypotheken- und Finanzkrise eine neue weltweite Dynamik entfaltete, hatte die Bundesregierung einen Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung, kurz: Soffin, eingerichtet und mit 480 Milliarden Euro ausgestattet. Das Geld kann die Behörde für Bürgschaften oder Eigenkapitalhilfen ausgeben. Sie kann aber Banken und Geldinstituten auch sogenannte Risikopositionen, also ansonsten unveräußerliche Wertpapiere für bis zu 5 Milliarden Euro pro Institut abkaufen. Was mit Privatanlegern geschieht, regelt das Gesetz nicht.
Sporbergs Weg kreuzt sich mit dem vieler Banken bei der Lehman-Pleite. Die Rentnerin hatte rund 40.000 Euro, die Hälfte ihres Vermögens, auf Anraten ihrer Hausbank, der Dresdner Bank, in Lehman-Zertifikate investiert, die sie für eine sichere Geldanlage hielt. Dass Zertifikate als Inhaberschuldverschreibungen wertlos werden, wenn das ausgebende Unternehmen Konkurs macht, wusste sie nicht. Nun kann sie aus dem Insolvenzverfahren, das sich nach Einschätzung von Experten noch mindestens zwei Jahre hinziehen wird, allerhöchstens 10 Prozent des Einsatzes zurückerwarten, 4.000 Euro.
Sie könnte den Verkäufer bei der Dresdner Bank wegen Falschberatung verklagen, aber das finanzielle Risiko ist groß. Bis zu 20.000 Euro Anwalts- und Gerichtskosten drohen, wenn sie verliert. Und sie fürchtet, dass sie "alleine gegen die Bank sowieso nicht ankommt". Schließlich könne diese sich nach den staaatlichen Hilfen für die Mutter Commerzbank "die besten Anwälte von meinen Steuergeldern" nehmen.
"Der Beschwerdeführerin ist nicht zuzumuten, eine Klage gegen die Beraterbank zu führen", argumentiert auch Anwalt Mattil in der 31-seitigen Verfassungsbeschwerde. Zugleich handle es sich um einen Fall von "allgemeiner Bedeutung", da allein in Deutschland mindestens 50.000 Kleinanleger ihr Geld mit Lehman-Zertifikaten verloren hätten. Darum könnten sich die Karlsruher Richter nicht herumdrücken. "Die Privatanleger dürfen nicht nur als Opfer der Krise betrachtet werden, die ihr Schicksal hinzunehmen haben." In den USA beispielsweise hätten die Behörden die Citibank verpflichtet, 40.000 Kunden zu entschädigen, die sie nicht über die Risiken eines zertifikateähnlichen Produkts aufgeklärt hatte.
Beim Bundesfinanzministerium hat man die Verfassungsbeschwerde "zur Kenntnis genommen", wie Sprecherin Jeanette Schwamberger sagt, warte nun aber "ganz entspannt ab", ob und was die Karlsruher Richter unternehmen. Tatsächlich räumen Verfassungsrechtler dem Vorstoß keine großen Erfolgsaussichten ein. Markus Heintzen, Professor an der FU Berlin, würde "fast eine Kiste Rotwein darauf wetten", dass sie gar nicht erst angenommen wird. Schließlich gehe es um Geld: "Da hat sich das Bundesverfassungsgericht noch nie sonderlich engagiert." Andere Rechtsanwälte, die Lehman-Geschädigte in Zivilprozessen gegen ihre Bankberater vertreten, wie der Bremer André Ehlers, verweisen jedoch auf die Öffentlichkeitswirkung. Gerade jetzt, wo die ersten Prozesse angelaufen seien, sei es gut, noch einmal auf die Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, "auch wenn es eher eine moralische als eine juristische sein mag".
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