Verfassungsklage gegen Rettungsschirm: Professoren wittern die Euro-Diktatur
Die Kläger sprechen von einem "Staatsstreich". Am Mittwoch urteilen die Karlsruher Richter über die Verfassungsmäßigkeit der Euro-Rettung.
BERLIN taz | Der Kampf um den Euro nimmt an Schärfe zu - nicht nur ökonomisch, auch rhetorisch. Wirtschaftsprofessor Wilhelm Hankel, der vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Griechenland-Hilfe klagt, bezeichnete Europa am Montag als "Sowjetunion light". Finanzminister Wolfgang Schäuble titulierte Hankel als "lupenreinen Demokraten" - in Anspielung auf eine umstrittene Äußerung von Ex-Kanzler Schröder über Russlands Staatschef Putin.
Mit vier weiteren Klägern stellte Hankel in Berlin das Buch "Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik - ein Staatsstreich der politischen Klasse" vor. Die Pressekonferenz diente zur Untermalung des Urteils, mit dem das Bundesverfassungsgericht Mittwoch über die Rechtmäßkeit der Finanzhilfen für Griechenland entscheidet.
Hankel und seine Kollegen hatten 2010 gegen das erste Kreditpaket geklagt, mit dem die EU den Bankrott Griechenlands verhindern wollte. Die politische Stoßrichtung der Kläger geht dahin, dass starke Staaten wie Deutschland arme Euro-Mitglieder nicht mit großen Summen unterstützen sollen. Hankel plädiert dafür, die Euro-Zone auf wenige, ökonomisch stabile Länder zu schrumpfen oder gleich ganz zur D-Mark zurückzukehren. Drei Hauptargumente führen die Kritiker ins Feld.
1. Demokratiedefizit
Hankels Kollege, der emeritierte Juraprofessor Albrecht Schachtschneider, belegte die Eurorettung mit Begriffen wie "Diktatur" und "Entparlamentarisierung". Die Kritiker behaupten, der Bundestag werde zunehmend entmachtet. Hilfen in Höhe von Hunderten Milliarden Euro würden ohne ausreichende Mitwirkung der gewählten Volksvertreter von den Regierungen in Berlin und Brüssel beschlossen. Gegenargument: Der Bundestag hat den bisherigen Hilfen zugestimmt und muss dies auch künftig tun. Bei der Ausweitung des europäischen Stabilitätsfonds wird das Parlament vermutlich erweiterte Mitwirkungsrechte durchsetzen.
2. Inflationsgefahr
Die Kläger sagen, durch die Hilfskredite spülten die Regierungen zuviel Euros auf die Märkte, wodurch die Inflation anziehe. Damit stiegen die Preise und die Kaufkraft der Deutschen sinke. Hankel und seine Mitstreiter sehen deshalb einen unerlaubten Eingriff des Staates in das Eigentumsrecht der Bürger. Gegenargument: Bislang steigt die Inflation nur leicht an. Die Europäische Zentralbank willden Geldwert auch künftig stabil halten, indem sie die Zinsen erhöht.
3. Überschuldung
Griechenland kann seine Schulden nach Ansicht der Kläger mit der bisherigen Therapie nicht reduzieren. Deshalb, so Hankel, solle Athen aus dem Euro aussteigen, zur Drachme zurückkehren und diese abwerten. Dadurch werde die Wirtschaftsleistung wieder wachsen und die Verschuldung langsam auf ein erträgliches Maß reduziert. Gegenargument: Der Ausstieg Griechenlands könnte den Euro insgesamt in Gefahr bringen.
Die Kritiker haben aber Recht mit ihrem Hinweis, dass Athen in der Falle sitzt. Die Sparmaßnahmen der Rettunspakete strangulieren das Wachstum statt es zu fördern. Eigentlich braucht Griechenland eine Umschuldung: Einen Teil der alten Schulden müsste man dem Land erlassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen