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Verfassungsgericht urteiltEU-Vertrag mit Grundgesetz vereinbar

Das Bundesverfassungsgericht findet den EU-Reformvertrag nicht verfassungsfeindlich, formuliert aber Einschränkungen.

Grundgesetz und EU-Reformvertrag - da geht wenigstens etwas, finden die Verfassungsrichter. Bild: dpa

Die Entscheidung der Verfassungsrichter fiel einstimmig. Und sie ist ein Kompromiss zwischen europafreundlichen und europaskeptischen Ansichten.

"Der EU-Reformvertrag ist mit dem Grundgesetz vereinbar", lautet die EU-freundliche Botschaft. Doch bevor Bundespräsident Horst Köhler die deutsche Zustimmung offiziell niederlegen kann, muss der Bundestag noch das Begleitgesetz nachbessern und seine eigenen Kontrollpflichten stärken. Zusätzlich hat sich auch das Bundesverfassungsgericht jede Menge Prüfungsrechte vorbehalten.

Mit dem im Jahr 2007 beschlossenen Reformvertrag (auch Lissabon-Vertrag genannt) soll die Europäische Union effizientere Strukturen erhalten: Im EU-Ministerrat soll häufiger als bisher die einfache Mehrheit der Stimmen genügen, das Europäische Parlament soll, insbesondere in der Rechts- und Innenpolitik, größeren Einfluss bekommen. Außerdem will man die europäische Außenpolitik besser koordinieren und die europäischen Grundrechte in einer Charta garantieren.

Gegen diesen Vertrag hatten sowohl der CSU-Politiker Peter Gauweiler als auch Politiker der Linken geklagt. Die Kläger warnten davor, dass der Bundestag bald nicht mehr viel zu entscheiden habe. Dann sei Deutschland kein richtiger Staat mehr und das Wahlrecht entleert.

Im Kern hat das Bundesverfassungsgericht die Klagen abgelehnt. Deutschland sei immer noch ein "souveräner Staat". Die EU sei ihrerseits kein eigenständiger Bundesstaat, sondern stehe weiterhin unter der Kontrolle der Mitgliedstaaten. Schließlich habe die EU nur die Befugnisse, die ihr die Staaten ausdrücklich eingeräumt hätten, und könne nicht die eigenen Kompetenzen erweitern. Die Richter bezeichnen die EU deshalb nach wie vor als "Staatenverbund". Allerdings komme die Menge der EU-Befugnisse einem selbständigen Staat schon recht nahe.

Vom Europäischen Parlament halten die Verfassungsrichter nicht viel. Es könne keine politischen Leitentscheidungen treffen und zur Legitimation der EU-Verordnungen und Richtlinien nur "ergänzend" beitragen. Hauptquelle der Legitimation seien weiter die nationalen Regierungen, die wiederum von den nationalen Parlamenten kontrolliert würden. Den Richtern missfällt, dass das Europäische Parlament nicht "gleichheitsgerecht" gewählt werde. Malta mit 400.000 Einwohnern stelle sechs Abgeordnete, während 80 Millionen Deutsche "nur" 96 Abgeordnete wählen dürften. Das widerspreche dem Prinzip one man, one vote.

Das Gericht sieht die Lösung daher nicht in einer weiteren Aufwertung des Europäischen Parlaments, sondern in einer besseren Kontrolle der EU-Gremien. Es müsse sichergestellt werden, dass diese sich an die eingeräumten Befugnisse halten und dass in Deutschland "wesentliche Räume zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse" bestehen bleiben. Solange das gewahrt sei, könnten weitere Befugnisse auf die EU übertragen werden.

Im Kern müssten aber folgende Bereiche in nationaler Zuständigkeit bleiben: Strafrecht, Polizei, Militär, Steuer-, Sozial- und Medienpolitik, Bildung, Kultur und Religionsfragen. Hier solle sich die EU auf die Lösung grenz-überschreitender Probleme beschränken.

Um zu verhindern, dass die EU-Befugnisse stillschweigend ausgeweitet werden, verlangt das Verfassungsgericht, dass der Bundestag jeweils per Gesetz zustimmt, wenn die EU ohne Vertragsänderung neue Aufgaben erhält. Bisher konnte der Bundestag in solchen Fällen nur ein Vetorecht geltend machen oder sogar nur eine Stellungnahme abgeben. So viel Laissez-faire halten die Richter aber für verfassungswidrig. Die neuen Aufgaben des Bundestags müssen nun im Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag festgeschrieben werden. Und soweit neue Strafrechtskompetenzen auf die EU übertragen werden, soll der Bundestag der Bundesregierung sogar "Weisungen" für ihr Abstimmungsverhalten im Ministerrat erteilen - ein Punktgewinn für die Kläger.

Das Verfassungsgericht hat sich aber auch selbst Kontrollrechte vorbehalten, weil es dem eigentlich zuständigen Gericht, dem Europäischen Gerichtshof, misstraut. So will Karlsruhe auf Antrag einschreiten, wenn die EU "ersichtlich" ihre Befugnisse überschreitet. Diese "Reservekompetenz" hat sich das Verfassungsgericht schon 1993 im Maastricht-Urteil genommen. Neu ist dagegen, dass man künftig auch prüfen will, ob die EU in den "unantastbaren Kerngehalt der deutschen Verfassungsidentität" eingreift, ob also Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde verletzt sind. Diese Kontrollrechte will das Gericht allerdings "europarechtsfreundlich" anwenden, versprachen die Richter. Auch das ein Kompromiss, der für dieses Urteil typisch ist.

Langfristig halten die Richter sogar einen europäischen Bundesstaat für möglich. Dies sprenge dann aber den Rahmen des Grundgesetzes. Wenn dort von einem "vereinten Europa" die Rede ist, sei kein Bundesstaat gemeint, sondern nur ein Staatenverbund, behaupten die Richter. Die Gründung eines europäischen Bundesstaats müsste im Rahmen einer neuen deutschen Verfassung erfolgen. Ob dazu eine Volksabstimmung gehört, ließen die Richter offen. Das Problem ist ja auch nicht sehr aktuell.

Aktuell ist aber die Frage, wie es mit dem Lissabon-Vertrag weitergeht. Die Bundesregierung muss nun ein neues Begleitgesetz vorlegen. Am 26. August will der Bundestag in einer Sondersitzung während der Sommerpause darüber beraten. Am 9. September soll das Gesetz beschlossen werden. Dann hätte Deutschland die Ratifikation des Reformvertrags doch noch abgeschlossen, bevor im Oktober die Iren zum zweiten Mal per Referendum über den Vertrag abstimmen.

(Az.: 2 BvE 2/08 u. a.)

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5 Kommentare

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  • B
    Beelzebub

    @ Michael

     

    Hättest du die (sehr lesenswerte) Begründung des Urteils gelesen, dann wüßtest du jetzt, dass es sehr wohl außer einem EU-Austritt noch eine andere mögliche Konsequenz gibt, sollte das BVerfG eine Regelung der EU als mit dem GG unvereinbar anehen.

     

    Besagte EU-Regelung fände dann die Deutschalnd keine Anwendung - und die EU wird damit leben müssen. Denn der Vertrag von Lissabon sieht zwar die Möglichkeit eines Austritts aus der EU vor, nicht aber den Ausschluß eines Mitgliedsstaates.

  • F
    FrederikeMK

    "Im Kern hat das Bundesverfassungsgericht die Klagen abgelehnt". Ganz so ist das nicht, Herr Rath. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass das Begleitgesetz NICHT dem Grundgesetz entspricht, das Grundgesetz auf undemokratische Weise aushebelt und die Rechte von Bundesrat und Bundestag zum Großteil aufhebt. Und diese Feststellung des Gerichtes, Herr Rath, ist eine gigantische Ohrfeige in die Gesichter der in der (wohlgemerkt: deutschen) Regierung befindlichen Personen und Parteien.Das heißt, diese haben ein undemokratisches und dem (wohlgemerkt: immer noch DEUTSCHEN) Grundgesetz widersprechendes Gesetz verabschiedet. Zum wiederholten Male übrigens. Entweder haben diese Leute dies in grob fahrlässigster Weise getan, oder aber bewußt. Beides widerspricht ihrem Amtseid, Schaden vom Deutschen Volk abzuwenden und das Grundgesetz zu achten. Gegenüber diesen Vorgängen kann man auch ganz andere Worte finden. Wie wär's damit: ein kalter Putschversuch der Bundesregierung gegen die Vertretungen des Volkes (Bundestag) und die Vertreter der Länder (Bundesrat) zur Aushebelung deren verfassungsrechtlich geschützter Befugnisse konnte durch Klagen von der LINKEN und Herrn Gauweiler u.a. durch das Bundesverfassungsgericht rückgängig gemacht werden.

    Das die herrschenden Parteien und Politiker jetzt so tun, als wäre gar nichts passiert, ist für diese Leute normale Routine. Man muss als Journalist dieses Spiel aber nicht mitspielen.

    Man kann diese Vorgänge auch tiefer reflektieren, als Sie, Herr Rath, uns dies in Ihren Beiträgen nahebringen. Quo vadis, taz?

  • V
    vic

    Zwar wurde ich nicht gefragt, aber ich will diese EU-Verfassung-Referendum-Reformvertrag nicht.

    Ich hab schon jetzt nichts mitzubestimmen, und brauche nicht noch eine dubiose Obrigkeit, die mich lenken will.

    Allerdings bin ich sehr befriedigt darüber, dass Deutschland nicht über mehr Stimmen in diesem Konglomerat verfügt, denn die sie jetzt einnehmen sind mehr als genug.

  • A
    Ast61

    man muss sich mal auf der Zunge zergehen lassen,was uns ohne dieses Urteil erwartet hätte.

    Die komplette Aushebelung unserer deutschen Gesetze.

     

    Noch unbegreiflicher ist es für mich,dass das Parlament sich freiwillig und wissentlich entmachtet hätte, um die Schuld für irre Gesetze ala Schilda künftig auf Brüssel schieben zu können.

    Das ist der eigentliche Skandal.

     

    Weiterhin ist es schämenswert,so ein Textwerk einfach mal so durchzuwinken. Betrüger und Rosstäuscher, bis auf wenige Ausnahmen, seid ihr.

     

    Den Codex Alimentarius habt ihr uns auch bis zum heutigen Tage verschwiegen!

     

    ..der Presse erteile ich übrigens auch keine guten Noten.

     

    Trotzdem Dank an Gauweiler & Co! :-)

  • M
    Michael

    Und was ist, wenn das BvG einen Verstoß gegen die Souveränität Deutschlands feststellt? Deswegen wird die EU nicht ihre Regeln brechen. Die einzig logische Konsequenz ist dann ein Austritt aus der EU.

    Alles so typisch. Es werden verfassungswidrige Gesetze beschlossen, die gelten dann erstmal. Das BvG erklärt ein paar Teile davon für ungültig. Die Polotik bekommt Zeit zum nachbessern. Der ganze Vorgang dauert oft Jahre.

    Es läuft nach dem Motto fordere die ganze Hand, ein paar Finger bekommst du schon.