Verfall, Verlust und Niedergang

Elegisch: Wulf Twiehaus versetzt an der Schaubühne mit Jan Fosses Trauerspiel „Traum im Herbst“ sein Publikum in einen anhaltenden Zitterzustand

Eine Bank, ein Mann und eine Frau. Und die Dämmrigkeit eines Herbstabends. Sie kennen sich von früher, aber ihre gegenseitige Liebe gestehen sie sich erst jetzt. Hier auf dem Friedhof, gleich neben den Grabsteinen.

So ist von Anfang an beieinander, was an diesem Abend nicht zu trennen ist: Liebe und Tod, Geburt und Sterben. Zwei Seiten einer Medaille, die für den norwegischen Erfolgsdramatiker Jan Fosse stets das Gleiche meinen. Leben heißt Vorbereitung auf den Tod, lieben Einübung in den Abschied. Das neuere Stück Traum im Herbst, an der Schaubühne zur deutschsprachigen Erstaufführung gekommen, nimmt sich da nicht aus. Wieder sind da viele Figuren im Schatten von Verfall, Verlust und Niedergang.

Fosse arbeitet mit seinen Dramen an der Neuerfindung des Trauer-Spiels als melancholische Elegie. Wie jedem Elegiker ist Fosse alles ein Grund, traurig zu sein. Sollte der entsprechende Philosoph für sein Theater gefunden werden, es müsste E.M. Cioran sein. „Wäre er in der Liebe glücklich gewesen“, hat Cioran geschrieben, „hätte Adam uns die Geschichte erspart.“

Diese Geschichte eines unglückseligen Herbsttraumes in der Regie von Wulf Twiehaus auch. Nach anderthalb Stunden Todes- und Liebesnähe ist der Zuschauer dennoch froh, sie gesehen zu haben. Weil Twiehaus mit seiner Inszenierung an der Seele rührt und Bühne wie Publikum in einen leichten, aber anhaltenden Zitterzustand versetzt.

Die Bühne von Volker Thiele ist um jene Parkbank gebaut. Umschlungen von einem Kiesweg, leicht hügelig, etwas mit dem Moos der Vergänglichkeit besetzt. Dort döst er bis sie kommt und beide sich in ein neues Leben stürzen. Tastend wie unter Vorbehalt und wissend, dass alles Neue die Hypothek des Alten trägt. Thomas Bading und Anne Tismer spielen ein Paar, das stets zwischen Duo und Duett balanciert. Figuren auf der Kippe, die halb vom Gestern gehalten, halb vom Morgen gezogen werden. Ihr Zögern, ihr Reden, ihre leisen Gesten – alles ist wie unter Watte gelegt, weil alles unter dem Stigma unauflösbarer Einsamkeit steht. Eine fröstelnde Verlassenheit, die bei Fosse durch die Liebe nur vergrößert wird. Ein Grund dafür, warum die Beiden sich voreinander fürchten, obwohl sie vor Sehnsucht verbrennen.

Wunderbar, wie Anne Tismer in roter Jacke und blaugeblümtem Kleid unentschlossene Entschlossenheit spielt. Jedes Detail weist bei ihr auf ein Ganzes, das nie auf den Begriff zu bringen ist. Begleitet von der entrückten und live eingespielten Musik Jörg Gollaschs, die an Goldfrapp oder Portishead erinnert, wird der Schwebezustand auf der Bühne in eine Atmosphäre des Irgendwo übersetzt: Der Friedhof könnte ein Küche sein, jede Küche ein Gräberfeld. Binnen weniger Minuten ist ein stiller Kosmos aufgegangen, der mit dem Auftritt der Eltern des Mannes dann aber leider wieder untergeht.

Therese Affolter und Wolf Aniol geben ein Friedhofspärchen mit überdimensioniertem Trauerkranz, das immer leicht neben der anvisierten Stimmung liegt. Mutter und Vater warten im Trauerlook auf Großmamas Begräbnis und machen dem Sohn samt seiner neuen Geliebten einstweilen Vorwürfe. Der Vater mit schweigendem Blick, die Mutter mit heuchlerischem Gerede.

Schade, dass Affolter den doppelten Ton nicht trifft und alles ins Affektierte treibt. Eine biedere Rampenkunst, die erst wieder verschwindet, wenn die Ex (Christin König) des Mannes auftritt. Die einzige namentlich ausgegebene Figur des Abends, Gry nämlich, bringt das Gleichgewicht der Trauer ins Wanken. Zurück bleiben nach dieser Trauerschlacht nur die drei Frauen. Und das Wissen eines Cioran: Vom Nachteil, geboren zu sein heißt eines seines Bücher.

DIRK PILZ

Nächste Aufführungen am 20.10., 21 Uhr, 22.10., 20 Uhr, 27.10 und 28.10., 20 Uhr 30