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Verein „Lyra Marzahn“Volle Taschen, leere Bücher

Der Spätaussiedler-Verein Lyra Marzahn hat Zahlungsschwierigkeiten. taz-Recherchen zeigen: Gründer Walter Gauks (CDU) langte offenbar ordentlich zu.

Berlin-Hohenschönhausen: Irgendwo hier befindet sich der Vereinssitz von „Lyra Marzahn“ Foto: IMAGO / Christian Thiel

Berlin taz | Der umstrittene Verein Lyra Marzahn ist von Insolvenz bedroht. Der Verein kümmert sich um die Integration von Spätaussiedlern und wurde von dem Ansprechpartner der Landesregierung für Russlanddeutsche und Vertriebene, Walter Gauks (CDU), gegründet. Mittlerweile schuldet Lyra Marzahn mehreren Gläubigern fünfstellige Beträge, es steht der Vorwurf der Insolvenzverschleppung im Raum.

Einem ehemaligen Mitarbeiter, der anonym bleiben will, schuldet der Verein 12.000 Euro, wie aus Unterlagen hervorgeht, die der taz vorliegen. Der freie Mitarbeiter hat nach eigenen Angaben in einem vom Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf finanzierten Projekt des Vereins gearbeitet. Während der Bezirk den Verein korrekt bezahlte, habe er sein Honorar nur teilweise ausgezahlt bekommen. Zwar gibt es einen Vollstreckungstitel, der Gerichtsvollzieher habe am Vereinssitz jedoch niemanden angetroffen. Lyra Marzahn arbeitet im Talcenter in Marzahn, der offizielle Vereinssitz befindet sich allerdings in einer Plattenbauwohnung in Hohenschönhausen.

Ein weiterer Gläubiger des Vereins, die Hokamp Medien Manufaktur mit Sitz in Niedersachsen, befindet sich im Mahnverfahren. Hier geht es laut der Firma um eine fünfstellige Summe für die medientechnische Betreuung des Vereins. Firmeninhaber Gerhard Hokamp sagt der taz: „Walter Gauks hat mir im Februar mitgeteilt, der Verein hätte kein Geld. Darum muss ich von einer zeitnahen Insolvenz ausgehen, insbesondere da wir nicht die einzigen Gläubiger sind.“

Seinen Angaben zufolge reagiere Lyra Marzahn nicht auf Mahnschreiben und Lösungsvorschläge. „Wir müssen davon ausgehen, dass der Verein seit geraumer Zeit eine Insolvenz verschleppt, um eventuelle Vermögenswerte den Gläubigern zu entziehen“, sagt Hokamp.

CDU-Mann Walter Gauks hat nach der Berichterstattung im vergangenen Jahr über mögliche Interessenkonflikte den Vorsitz des Vereins aufgegeben. Die aktuelle Vorsitzende, Svetlana Miller, beantwortet keine Fragen zu den finanziellen Verhältnissen. Die der taz bekannten Schulden sind allerdings aufgelaufen, als Gauks noch Vereinsvorsitzender war, sodass er in einem möglichen Strafverfahren wegen Insolvenzverschleppung wohl mit im Boot säße.

„Satzungsgemäß entlastet“

Walter Gauks dementiert das auf taz-Anfrage: Er sei „satzungsgemäß auf Vorschlag des Kassenprüfers durch die ordentliche Mitgliederversammlung“ entlastet worden. Weder Finanzamt noch Bezirksamt hätten etwas beanstandet. „Für mich ist das Thema damit abgeschlossen.“

Für Gauks wäre die Insolvenz nicht die erste Erfahrung dieser Art. 2019 ging in Lichtenberg der von ihm geleitete, fast namensgleiche Verein Lyra insolvent, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht korrekt verwendete öffentliche Gelder in Höhe von 44.000 Euro zurückgefordert hatte. Zuvor hatte Gauks bereits eine Event- und Gastrofirma im Harz in den Sand gesetzt.

Strafrechtlich ist er bisher glimpflich davongekommen. Ein Verfahren wurde gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 5.000 Euro eingestellt. Gläubiger Hokamp geht davon aus, dass der neue Vorstand von Lyra Marzahn „offensichtlich nicht richtig weiß, was für Tretminen Gauks dort hinterlassen hat. Es kann noch ein böses Erwachen inklusive persönlicher Haftung geben.“

Lyra Marzahn hat derzeit noch Mieteinnahmen, weil die „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland“ nach Angaben ihres Bundesgeschäftsführers Ilja Fedoseev in den Vereinsräumen ein Projekt betreibt. Außerdem veranstaltet Lyra Marzahn nach wie vor Feste und Schlagerabende. Laut der Facebook-Seite von Walter Gauks sind die Gäste angehalten, die Eintrittsgelder von 15 Euro für die Schlagerabende nur in bar zu zahlen.

Dabei ging es dem Verein 2022 finanziell noch sehr gut. Damals betrieb er drei Corona-Testzentren. Aus den Finanzunterlagen, die der taz vorliegen, geht hervor, dass er dafür eine sechsstellige Summe von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) einstrich. Die eigentlichen Coronatester wurden mit Kleinstbeträgen abgespeist.

An anderer Stelle hat der Verein sein Geld jedoch mit vollen Händen ausgegeben. Allein im ersten Halbjahr 2022 stellte der damalige stellvertretende Vereinsvorsitzende, Alexander Korneev, dem Verein 19.200 Euro in Rechnung – Erstattungen von Sachkosten nicht mitgerechnet. Korneev ist zugleich Bezirksverordneter der CDU in Marzahn-Hellersdorf. Von Juli 2022 bis Anfang 2023 bezog er ein Gehalt vom Verein zuzüglich einer Inflationsprämie. Beides ist nach dem Vereinsrecht nicht statthaft, denn Korneev gehörte damals dem Vorstand an. Gehalt und Honorare gelten darum als nicht zulässige In-sich-Geschäfte.

Unklar ist zudem, wer eigentlich Korneevs Arbeitsvertrag und seine Rechnungen unterzeichnet hat. Denn laut Satzung ist der Verein nur mit den Unterschriften von zwei Vorstandsmitgliedern geschäftsfähig. Mit Gauks und Korneev gab es damals allerdings nur genau zwei Vorstandsmitglieder. War Korneev darum gleichzeitig Arbeitgeber und Arbeitnehmer? Fragen der taz dazu ließ er unbeantwortet.

Wie ein Privatkonto genutzt

Auch Gauks bediente sich beim Verein. 2022 bekam er fast 16.000 Euro überwiesen. Als Vereinsvorsitzender ist das unzulässig. Auffällig ist auch, dass das Vereinskonto 2022 genutzt wurde wie ein Privatkonto. Unzählige Male wurde Geld abgehoben sowie mit der Karte in Supermärkten, Baumärkten und an Tankstellen bezahlt.

Wie aus Unterlagen hervorgeht, wurden allein im September 13 Mal bei Bankautomaten insgesamt rund 4.000 Euro abgehoben – Gebühren nicht mitgezählt. Im selben Monat kaufte der Verein für 2.344 Euro bei Amazon ein, tankte für 718 Euro und schaffte einen Laptop für rund 400 Euro an. Dazu kommen ein Großeinkauf bei Selgros für mehr als 1.000 Euro und weitere Einkäufe bei Metro, Globus, Mix-Markt, Media-Markt, einer Apotheke und einer Bäckerei.

Die taz konfrontierte den Verein und Gauks mit dem Vorwurf, dass das Konto augenscheinlich privat genutzt wurde. Beide gingen darauf nicht ein. Wer das Geld abgehoben hat, ist nicht bekannt. Doch es gibt einen vagen Hinweis: Zweimal fanden die Barabhebungen im niedersächsischen Osterode am Harz statt. Dort wohnen Verwandte von Walter Gauks.

Auch Gauks’ Bruder kam übrigens nicht zu kurz: Den Kleintransporter, den der Verein 2021/22 für sein mobiles Corona-Testzentrum brauchte, kaufte er ausgerechnet bei ihm in Osterode. Zu einem Preis, den ein damaliger Vereinsmitarbeiter als „völlig überteuert“ bezeichnet.

Ein anderer früherer Vereinsmitarbeiter sagt, es seien zwar Ausgaben für Speisen und Getränke für eine Begegnungsstätte angefallen, der Umfang sei aber nicht nachvollziehbar.

Bürotechnik zur Seite geschafft?

Der Kleintransporter wurde bereits in den vergangenen Monaten veräußert. Wer den Erlös einstrich, sagt der Verein nicht. Unklar ist auch, was mit weiteren Vermögenswerten, etwa hochwertiger Veranstaltungs-, Büro- und Computertechnik geschah, darunter Kopfhörer für fast 2.500 Euro. Wurden sie zur Seite geschafft, damit ein Insolvenzverwalter keinen Zugriff mehr hat?

Als es dem Verein noch gut ging, gingen Gelder auch an Institutionen, die dem russischen Staat nahestehen. So liegen der taz Belege vor, wonach Lyra Marzahn noch nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 5.500 Euro an die Berliner Diözese der Russisch-Orthodoxen Kirche spendete, die dem Moskauer Patriarchat untersteht. Auch in hiesigen Niederlassungen wird für den Sieg der russischen Waffen gebetet.

Ende 2022 zahlte der Verein zudem rund 1.000 Euro an die im Russischen Haus in der Friedrichstraße ansässige Firma MTV, die Künstlerinnen und Künstler aus Russland ins Ausland vermittelt. Wofür genau, beantworteten Verein und Gauks ebenfalls nicht.

Mit anderen Spenden nimmt es der Verein nicht so genau. So beherbergte er 2023/24 eine Fotoausstellung und bot den Fotografierten an, ihre Fotos gegen Spende zu erwerben. Diese Spende sollte zu gleichen Teilen an Lyra Marzahn und das Projekt Laib und Seele gehen. Während die Übergabe des Geldes an den eigenen Verein bereits im Sommer 2024 dokumentiert wurde, hat das von Ehrenamtlern gestemmte Lebensmittelausgabe-Projekt Laib und Seele einer Sprecherin zufolge bis heute kein Geld erhalten.

Die Linken-Abgeordnete Manuela Schmidt aus Marzahn fordert Walter Gauks nun auf, die im Raum stehenden Vorwürfe aufzuklären. Gauks habe als Ansprechperson des Senats für Deutsche aus Russland, Spätaussiedler und Vertriebene eine Vorbildfunktion. „Daher erwarte ich von ihm rückhaltlose Unterstützung und absolute Transparenz bei der Klärung dieser Sachverhalte sowie angemessene Konsequenzen“, sagt Schmidt.

Ihr Grünen-Kollege Stefan Ziller sieht auch den Senat in der Pflicht. „Angesichts der Vermischung mit früheren Tätigkeiten in CDU-Abgeordnetenbüros ist es naheliegend, dass CDU und Senat Kenntnis zumindest von einigen Ungereimtheiten hatten“, meint er.

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