: Verdrängte Fülle
Paul Kleinschmidts Malerei der 1920er-Jahre kontrastiert im Hamburger Jenischpark mit Ernst Barlachs reduzierten Skulpturen. Bilder vom erotisch aufgeladenen Amüsierbetrieb, üppige Stillleben und karikierende Kritik prägen sein Werk, das nach 1945 fast vergessen war
Von Hajo Schiff
Überall rosige Haut und süße Speiseberge: Ein üppiger, mit sinnlicher Fülle prunkender Maler bildet mit 40 Bildern zurzeit das Kontrastprogramm zu den reduzierten Skulpturen Ernst Barlachs. Wieder einmal hat Direktor Karsten Müller im Haus im Jenischpark einen weitgehend unbekannten Zeitgenossen des Hausheiligen entdeckt und in den Dialog gebracht: Paul Kleinschmidt. Im Berlin der Zwanzigerjahre war der ein wohlbekannter, gerne ausgestellter und gesammelter Maler. Sein hauptsächliches Thema war der erotisch aufgeladene Amüsierbetrieb der Zeit. Schon von klein auf kannte und liebte er Varieté und Zirkus, war er doch 1883 als Sohn eines Theaterdirektors und einer Schauspielerin geboren.
Nachdrücklich gefördert vom wirkmächtigen Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe (1867–1935), erlebt Paul Kleinschmidt seine erfolgreichste Zeit im kurzen Rausch des als golden verklärten Trubels der Zwischenkriegszeit in Berlin. Ausstellungen in renommierten Galerien, gute Kontakte zu Sammlern und Museumsankäufe ermöglichen ihm zeitweilig ein nahezu sorgloses Leben und Arbeiten. Seine Bilder passen zur Stimmung: Neureiche Raffkes protzen mit ihrem Luxus, berstend volle Kuchenbüffets und Stillleben üppig angerichteter Mahlzeiten samt prächtiger Blumenbouquets scheinen eine Überkompensation für den weitverbreiteten Mangel der Zeit.
Kleinschmidt, der Lovis Corinth und Max Beckmann als Vorbilder sah, in manchen karikierenden Überzeichnungen auch an George Grosz erinnert, legt vor allem durch das überwältigende Zuviel eine Kritik nahe. Denn es stimmt etwas nicht mit dieser Lebensfülle. Die früheren Bilder sind von einem den Farben beigegebenen Grauton überlagert, die späteren bedienen sich zwar einer helleren Palette, nun aber sind die dargestellten Figuren sichtbarlich erschöpft und müde wie die nach der Show in den Garderoberäumen gezeigten Mitglieder eines Damenorchesters. Solche Formationen waren eine besonders beliebte Attraktion der Zwischenkriegszeit. Und die Damenorchester hatten damals einen etwas zweifelhaften Ruf. Der Filmklassiker „Manche mögen’s heiß“ mag assoziiert werden. Und dann könnte sich der Gedanke einschleichen, auch hier bei den barocken Bardamen sei die eine oder andere vielleicht eher ein Kerl.
Seit 1928 wird der Maler vom Lebensmittelindustriellen Erich Cohn aus New York mäzenatisch mit jährlichen Zahlungen unterstützt, die dann mit Bildern abgegolten werden. Cohn aber schätzt als Sammler besonders die Stillleben und Landschaften, die Figurenbildnisse lässt er in seiner Nudelfabrik aufhängen.
„Prachtstücke – Paul Kleinschmidt. Malerei 1922–1939“, Ernst Barlach Haus, Jenischpark. Bis 15. Juni
In Deutschland diffamiert
Der Unterschied von Kleinschmidts Umgang mit den Motiven ist verblüffend: Platzen die Bardamen in ihrer drallen Präsenz fast aus dem Rahmen, sind die Landschaften zurückhaltend und menschenleer. Die schwäbische Alp erfasst er in teils kräftigen Farbverdichtungen, doch bei den Darstellungen von vorstädtischen Bushaltestellen oder Bahnunterführungen im Industriegebiet nähert sich seine Motivwahl dem eher kühlen Blick der gleichzeitigen „Neuen Sachlichkeit“, aber in eigener meist pastoser Malweise. Immer wieder malte Kleinschmidt auch in der Provence. Das fahlweiße Haus im Olivenhain wirkt allerdings mit den zwei Fenstern und der zentralen Tür wie ein gespenstisches Gesicht, und die Bäume scheinen von Ölfarbe überzuquellen.

Vor allem dank seines Gönners Erich Cohn macht Kleinschmidt auch international Karriere. 1933/34 hat er in den Museen von Chicago und Philadelphia prominente Einzelschauen und Cohn lädt ihn nach New York ein. Dort findet der Maler einen eher ungewöhnlichen Zugang zum Bild der Stadt: Er zeigt sie aus peripheren Blickwinkeln und fast ohne Leben. Das halbe Bild beanspruchen Zugänge zum Central Park oder stürzende Treppenanlagen, die typischen Wolkenkratzer sind an den Rand gedrängt. Und während er in den USA ausgestellt wird, sich aber auf Dauer keine neuen Freunde macht, werden in Deutschland Kleinschmidts Bilder schon als „Verhöhnung der deutschen Frau“ und als „entartet“ diffamiert.
Hatte die Familie bereits 1932 Berlin verlassen und war ins Ulmer Umland gezogen, führte der Maler seitdem ein rastlos unstetes Leben. Obwohl eher unpolitisch und über die Ablehnung seines Malstils hinaus nicht unmittelbar bedroht, wechselt die Familie in Süddeutschland, der Schweiz und den Niederlanden teils monatlich die Aufenthaltsorte. Schließlich lebt Kleinschmidt ab 1938 an verschiedenen Orten in Frankreich und wird im Sommer 1943 zwangsweise ins Deutsche Reich „repatriiert“. Im Bombenkrieg wird ein Großteil seiner Bilder vernichtet, und nach seinem Tod 1949 wird Kleinschmidt außerhalb Schwabens als Künstler weitgehend vergessen – nicht der einzige bedauerliche Langzeiterfolg der NS-Kulturpolitik.
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