: Verdrängte Aidsgefahr im lesbischen Paradies
■ Bei vielen homosexuellen Frauen gilt Safer Sex nach wie vor als Tabuthema
Wer mit Männern ins Bett geht, ist selber schuld! So oder so ähnlich lautet immer noch das Aids-Credo vieler Hetero-Männer und Lesben. Schließlich ließ die Wissenschaft lange Zeit verlautbaren, daß die tödliche Immunschwäche nur Schwule betreffe, ganz so, als ob das HI-Virus nicht nur das Geschlecht eines Wirtskörpers erkennen könnte. Für die meisten heterosexuellen Männer starb dieser Glaube an jenem Tag, an dem sich der US-amerikanische Basketball- Macho Magic Johnson als Infizierter bekannte. Viele homosexuelle Frauen hingegen glauben immer noch, eine „richtige Lesbe“, also eine ohne sexuelle Kontakte zu Männern, bekomme kein Aids. Diese Einstellung führe nicht nur zu risikoreichem Sex, sondern könne auch fatale Folgen für schon infizierte Lesben haben, erklärte die Amsterdamer Aids-Aktivistin und Wissenschaftlerin Corinna Gekeler am Wochende auf den 5. Münchner Aids-Tagen.
Viele Lesben meinen, eine HIV-Infektion könne nur eine Folge von sexuellem Kontakt mit Männern sein. Dieser Kontakt gilt jedoch als Tabubruch. „In der lesbischen Welt“, sagte Gekeler, werde deshalb oft die Frage gestellt, „ob eine Lesbe die Pflege bei Aids überhaupt verdient hat, obwohl sie – angeblich – von einem Mann infiziert wurde“. Diese Ausgrenzung müsse im klinisch-therapeutischen Umgang mit HIV-positiven Lesben berücksichtigt und kritisch analysiert werden.
Eine niederländische Studie bestätigt: Lesben denken bezüglich der Immunschwäche immer noch an Risikogruppen (Männer) und nicht an Risikoverhalten (unsafen Sex). Obwohl Lesben sehr wohl um das Übertragungsrisiko von Vaginalsekret und Blut wissen, setzen sie ihre Kenntnisse aber meistens nicht in praktizierten Safer Sex um. Eine Ausnahme bilden nach dieser Untersuchung lediglich Lesben, die SM praktizieren; sie scheinen bewußter mit dem Aids-Risiko umzugehen.
Safer Sex gilt nach wie vor bei vielen homosexuellen Frauen als Tabuthema. Bevor über Risiken und Schutzmaßnahmen gesprochen werden kann, muß oft erst einmal über lesbischen Sex im allgemeinen diskutiert werden. Ärzte und heterosexuelle Sozialpädagoginnen sind da meist überfordert. Broschüren gibt es kaum.
„Niederländische und deutsche Lesben fühlen sich durch Aufklärungskampagnen für die sogenannte Allgemeinbevölkerung zu Recht nicht angesprochen“, meint Gekeler. Zudem existieren nur wenig frauenspezifische, geschweige denn lesbenorientierte Studien. Bisher sind nur neun Fälle dokumentiert und wissenschaftlich anerkannt, bei denen Frauen durch Sex mit anderen Frauen infiziert wurden. In den offiziellen Aids- statistiken der USA und Europas kommen homosexuelle Frauen erst gar nicht vor. Das scheint viele Lesben in ihrem Glauben zu bestätigen, daß ihr Sex kein Risiko beinhalte. Annette Bolz
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