Verdacht der Vetternwirtschaft: Geschäfte mit dem Patenonkel
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Franz Allert, zuständig für die Unterbringung von Flüchtlingen.
Für den Chef einer wichtigen Berliner Behörde könnte es bald eng werden: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Franz Allert vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), unter anderem für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig, sowie gegen Geschäftsführer zweier Firmen, die solche Unterkünfte betreiben. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, bestätigte am Donnerstag der taz, dass es Ermittlungen im Zusammenhang „mit dem Bau und Betrieb von Flüchtlingseinrichtungen“ gibt. Zu Einzelheiten sagte er nichts.
Im Raum steht der Verdacht, dass das Lageso die Unternehmen Gierso und Pewobe, die wirtschaftlich eng verflochten sind, bei der Vergabe von Aufträgen bevorzugt hat. Zudem wurde die Einhaltung vereinbarter Standards womöglich nicht oder unzureichend kontrolliert – und so mehr Geld an die Firmen gezahlt als nötig. Einen zusätzlichen Beigeschmack bekommt dies, weil Allert Patenonkel des Geschäftsführers von Gierso, Tobias Dohmen, ist. Entsprechende Berichte von Bild und BZ bestätigte die dem Lageso übergeordnete Senatsverwaltung für Soziales am Donnerstag.
Den Stein ins Rollen brachte die Initiative „Neue Nachbarschaft/Moabit“: Sie hatte Allert, Tobias Dohmen, Gierso-Mitarbeiter Wilhelm Pleß sowie den Geschäftsführer der Pewobe, Helmuth Penz, im März angezeigt. Die Anzeige liegt der taz vor. Die Initiative hatte sich im Gierso-Heim Levetzowstraße für die Flüchtlinge engagiert und war nach Kritik an Misständen im Herbst 2013 hinausgeworfen worden. „Daraufhin haben wir angefangen zu recherchieren“, erzählt Udo Bockemühl, einer der drei Aktivisten, die die Anzeige unterschrieben haben.
So besorgte sich die Initiative unter anderem den Vertrag zwischen Gierso und Lageso für das Moabiter Heim und stellte fest: Eigentlich war dort Kinderbetreuung vereinbart. Die habe es aber mindestens neun Monate lang nicht gegeben, so Bockemühl. Darüber habe man das Lageso im November 2013 informiert. Dennoch habe das Amt bis heute keine Strafzahlung gegen Gierso verhängt. Laut Vertrag wäre es dem Lageso möglich, seine Zahlungen um das Fünffache der nicht nachgewiesenen Personalkosten zu kürzen. Warum dies nicht geschehe, erklärte ein Lageso-Abteilungsleiter laut Bockemühl so: „Wir sind an einem guten Arbeitsverhältnis mit den Heimbetreibern interessiert.“
Auffällig ist, dass sich die Zahl der von der Gierso betriebenen Flüchtlingsunterkünfte in den vergangenen zwei Jahren deutlich erhöht hat: Von einer ab Oktober 2012 betriebenen Notunterkunft mit 150 Plätzen auf fünf Gemeinschafts- und Notunterkünfte mit 870 Plätzen im Oktober 2014. Allerts Patensohn Dohmen ist seit November 2012 Geschäftsführer der Gierso. Zwar haben auch andere – gemeinnützige wie private – Betreiber im selben Zeitraum zugelegt. So betrieb etwa die ebenfalls private Prisod im Oktober 2012 vier Unterkünfte, aktuell sind es sieben, bei einer knappen Verdreifachung der Platzzahl. Die gemeinnützige AWO, die alle Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge betreibt, erhöhte ihre Unterkunftszahl im selben Zeitraum von drei auf acht.
Geschuldet ist der Zuwachs den steigenden Flüchtlingszahlen. Doch in keinem Fall war er so groß wie bei der Gierso. Auch die Pewobe konnte die Zahl der von ihr betriebenen Unterkünfte in den zwei Jahren von drei auf sieben mehr als verdoppeln. Angeblich sind Pewobe und Gierso voneinander unabhängig. Doch ist Pewobe-Geschäftsführer Penz, eine dubiose Figur aus dem Westberliner Bau- und Sozialbusiness-Sumpf, auch Gründer der Gierso. Zudem hält die Pewobe 25 Prozent Gierso-Anteile.
Canan Bayram, flüchtingspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, fordert „lückenlose Aufklärung“ der Vorwürfe gegen Allert: Eine Befassung des Lageso-Präsidenten mit Vergabeverfahren solle bis zum Abschluss der Ermittlungen ruhen. Fabio Reinhardt, flüchtlingspolitischer Sprecher der Piraten, kritisiert, dass „trotz wiederkehrender Beanstandungen“ gegenüber Gierso und Pewobe weiter Aufträge an sie vergeben worden seien und das Lageso Sanktionen nicht verhängt habe. Aktuell in Planung befindliche neue Unterkünfte der umstrittenen Betreiberfirmen müssten gestoppt und neu vergeben werden, so Reinhardt.
Die Senatsverwaltung für Soziales und Gesundheit hat „eine Untersuchung durch die Innenrevision beim LAGeSo initiiert“, teilte sie am Donnerstag mit. Zudem habe Senator Mario Czaja (CDU) auch um eine externe Prüfung durch den Landesrechnungshof gebeten.
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