: Verbraucher füllen die Steuersäcke
■ Die höhere Mehrwertsteuer wird je nach Produkt unterschiedlich schnell auf die Konsumenten abgewälzt/ Die Raucher trifft es doppelt
Berlin (taz) — Mehrwertsteuer heißt: die VerbraucherInnen müssen tiefer in die Tasche greifen. Wenn am 1.Januar 1993 der Fiskus für jedes verkaufte Sofa, für jede Flasche Orangensaft und für jeden Besen ein Prozent mehr kassiert, fließen nach Berechnung der Finanzministerialen insgesamt rund 10,5 Milliarden Mark in die verschiedenen Steuersäcke. Allerdings wird die Mehrwertsteuererhöhung bei den wenigsten Produkten unmittelbar in der Neujahrsnacht draufgeschlagen — nur beim Rechtsanwalt und Festpreisprodukten ist damit zu rechnen. „Schnell an die Verbraucher weitergegeben wird die Steuer vermutlich im Kfz- und Textilbereich“, prognostiziert Ulf Kalkmann vom Hamburger Einzelhandelsverband. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Während es in der Automobilbranche nur eine begrenzte Zahl von Anbietern gibt, ist ein Preisvergleich bei Klamotten wegen der Vielfalt des Angebots schwierig; ein Wechsel der Preisschilder treibt die Kunden nicht gleich zur Konkurrenz und ist somit für die Unternehmen ohne Einbußen möglich.
Schwieriger ist ein Abwälzen der Steuererhöhung hingegen bei Produkten, wo die Markttransparenz groß und der Markt eng ist. „Das gilt insbesondere für Unterhaltungselektronik und Markenartikel“, so Kalkmann. Hier kann der Kunde das günstigste Angebot unmittelbar feststellen, und der Händler bleibt auf seiner Ware sitzen, wenn die Konkurrenz die Preise nicht erhöht.
Auch die Raucher werden für ihre Sucht Anfang nächsten Jahres mehr bezahlen müssen — und zwar überverhältnismäßig: denn auf einen Teil der Tabaksteuer wird noch einmal Mehrwertsteuer zusätzlich erhoben. „Eine Preiserhöhung gibt es auf jeden Fall“, so Ernst Brückner vom Verband der Zigarettenindustrie; auch die steigenden Lohnkosten würden da mit einfließen. Schon Anfang März dieses Jahres wird sich die erhöhte Tabaksteuer bei den Konsumenten der Glimmstengel mit 15Pfennig pro Packung am Kiosk und einer Mark am Automaten bemerkbar machen — dafür sind vier Stück mehr in der Packung.
Aber die Klagen des Handels über die seit 1968 zum fünften Mal erhöhte Mehrwertsteuer können nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Steuerpaket insgesamt günstig für Ladenbesitzer ist. Zwar wird die Gewerbekapitalsteuer nicht — wie ursprünglich vorgesehen — gestrichen. Aber mit einer Vervierfachung des Freibetrags bei der betrieblichen Vermögenssteuer und anderen Maßnahmen sei eine „substantielle Entlastung“ der mittelständischen Wirtschaft garantiert, so ein Sprecher des Finanzministeriums. Somit zahlen die VerbraucherInnen den Hauptanteil des Steuerpakets. Bei Haushalten mit kleinem Budget schlägt der erhöhte Prozentpunkt prozentual höher zu Buche als bei Höherverdienenden. Daran kann auch die niedrigere Mehrwertsteuer von weiterhin sieben Prozent für Lebensmittel — Getränke zählen nicht dazu — und Druckerzeugnisse nichts ändern. Annette Jensen
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