Verbotener Arbeitskampf: Ver.di muss draußen lieb bleiben
Gericht untersagt der Gewerkschaft die Blockade von Geschäften. Mit solchen Streikmethoden konnte Ver.di dem Einzelhandel ernsthaft wirtschaftlich schaden.
Dichtmachen - das ist ein Reizwort für die Firma Reichelt. Unter diesem Motto nämlich hatte Ver.di, unterstützt durch ein Aktionsbündnis aus Verbraucherinitiativen und linken Gruppen, am 6. Juni die Filiale der Lebensmittelkette Reichelt in der Berliner Straße in Wilmersdorf bestreikt (taz berichtete). Anders als bisher üblich versammelten sich Beschäftigte und Unterstützer vor der Filiale, rieten Kunden vom Einkauf ab und bliesen kräftig in die Trillerpfeife, wenn diese den Laden trotzdem betraten.
Der Einzelhandelsverband erwirkte nun vor Gericht eine einstweilige Verfügung (ArbG 2 Ga 9993/08) gegen die aus seiner Sicht illegalen Methoden. 250.000 Euro Strafe drohen der Gewerkschaft bei Zuwiderhandlung, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wie das Arbeitsgericht am Dienstag bekannt gab.
Der Ton in dem Konflikt um Lohnerhöhungen und den Erhalt der Zuschläge für Nacht- und Wochenendarbeit wird schärfer. Der Einzelhandelsverband hatte den Tarifvertrag Ende 2006 gekündigt, um diese Zuschläge abzuschaffen. Seit einem Jahr protestiert Ver.di für einen neuen. Bisher vergeblich, denn die Gewerkschaft ist schwach im Einzelhandel, und streikende Beschäftigte werden in der Regel durch Leiharbeiter ersetzt. So bleiben die Geschäfte geöffnet, auch an Streiktagen. Schlecht für die Moral der Beschäftigten - ihre Beteiligung sank zuletzt dramatisch. Deshalb beschloss Ver.di, das zu tun, was in anderen Branchen bei Streiks ohnehin passiert: das Geschäft zum Erliegen bringen.
Auch dieses Mal ersetzten Leiharbeiter die streikenden Beschäftigten, doch die direkte Kundenansprache vor der Filiale zeigte Wirkung. Nur wenige wagten sich ins Geschäft. In der einjährigen Streikgeschichte im Einzelhandel ist es Ver.di damit erstmals gelungen, ernsthaften wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Von einigen zehntausend Euro Umsatzausfall ist die Rede.
Die Arbeitgeber reagierten elektrisiert auf diesen "Streikexzess". Vor dem Arbeitsgericht erwirkte der Handelsverband Berlin-Brandenburg (HBB) jetzt eine einstweilige Verfügung gegen Ver.di. Der HBB fordert, Ver.di solle es in Zukunft unterlassen, Streikposten vor den Eingängen aufzustellen, Personen beim Betreten des Gebäudes anzuhalten oder auch nur dazu aufzurufen, eine Filiale "dichtzumachen", zu "blockieren" oder "Streikbruch zu verhindern". Der Verband beklagt, die Kundinnen und Kunden hätten beim Betreten des Ladens einen wahren Spießrutenlauf absolvieren müssen. "Solche Blockaden", so Nils Busch-Petersen, Geschäftsführer des HBB, "sind rechtswidrig." Die erforderliche Streikgasse von drei Metern Breite sei nicht eingehalten worden. Dieser Ansicht schloss sich der Richter am Arbeitsgericht an. Er untersagte Ver.di, den Zugang zu bestreikten Betrieben "unverhältnismäßig zu behindern" oder dazu aufzurufen.
Die Gewerkschaft reagierte empört. "Die Vorwürfe sind haltlos", sagte Erika Ritter, Fachbereichsleiterin Handel bei Ver.di. "Es war jederzeit möglich, den Laden zu betreten." Der Arbeitgeber wolle Aktionen kriminalisieren, die den Arbeitskampf direkt vor den Augen der Kundschaft führen. Doch gerade das sei richtig, wie die hektische Reaktion des HBB zeige. Sie kündigte an, Berufung gegen das Urteil einzulegen.
So entwickelt sich aus einer Streikaktion ein juristisches Tauziehen um die Frage, wie offensiv Gewerkschaften und Beschäftigte für ihre Forderungen eintreten dürfen. Die Firma Reichelt reagiert unterdessen mit erhöhtem Druck. In einem Brief fordert sie ihre Mitarbeiter auf, sich von solchen "menschenunwürdigen" Aktionen zu distanzieren.
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