: Verbales Kräftemessen vor dosierter Eskalation
Sollte am Montag der Streik beginnen, muß die IG Metall damit rechnen, daß ihre konfliktbegrenzende Strategie nicht aufgeht. Die Unternehmer wollen Streikende mit einer massiven Anwendung des Instruments Aussperrung sanktionieren.
Noch ist die Tür für eine Verhandlungslösung im Tarifkonflikt der Metallindustrie nicht völlig zugeschlagen. Auch nach der erfolgreichen Urabstimmung im Tarifbezirk Niedersachsen will der stellvertretende IG-Metall- Chef Walter Riester nicht ausschließen, daß es noch eine Alternative zur Konfrontation mit wochenlangen Streiks und Aussperrungen gibt. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall bot gestern, knapp vor dem Urabstimmungsergebnis, der IG Metall für heute ein Spitzengespräch an. Entweder gibt es also in letzter Minute und noch vor Streikbeginn am Montag eine Einigung, oder die Eigendynamik des Arbeitskampfs wird die Republik in den kommenden Wochen beschäftigen. Wie dies aussehen kann, war am Mittwoch im Düsseldorfer Handelsblatt nachzulesen: Die Arbeitgeber werden nicht nur in dem kleinen, von der Gewerkschaft bestreikten Tarifbezirk Niedersachsen aussperren, sondern auch in großen Tarifbezirken wie Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg. Das gewerkschaftliche Kalkül, mit wenig Einsatz eine möglichst große politische Wirkung zu erzielen, werde von den Arbeitgebern mit bundesweiten Aussperrungen beantwortet.
Die IG Metall muß also damit rechnen, daß ihre dosierte, konfliktbegrenzende Strategie nicht aufgeht. Denn die Unternehmer haben sich bereits eine juristische Argumentation zurechtgelegt, die ihnen eine massive Anwendung des Instruments Aussperrung erlauben soll. Die diesjährige Tarifrunde sei eine zentrale Runde, damit gelte nicht nur ein Bezirk, etwa Niedersachsen, sondern ganz Westdeutschland als „Kampfgebiet“, in dem die Unternehmer als Antwort auf gewerkschaftliche Streiks das Instrument der Aussperrung einsetzen dürften. Die IG Metall beharrt dagegen trotz der offensichtlichen Beteiligung der Verbandszentralen darauf, daß der neue Tarifvertrag in den einzelnen Bezirken abschließend verhandelt und abgeschlossen werde. Deshalb dürften Streiks in einem Bezirk entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgebot des Bundesarbeitsgerichts auch nur durch Aussperrungen im gleichen Bezirk beantwortet werden. Und nur dort wird die Gewerkschaft den Ausgesperrten Streikunterstützung zahlen.
Die Konfliktstrategie der Arbeitgeber ist also klar: massenhafte Aussperrungen im gesamten Bundesgebiet, bei denen auf Grund des Paragraphen 116 Arbeitsförderungsgesetz keine Lohnersatzleistungen an die Ausgesperrten gezahlt werden. Sollte es dazu kommen, wird der Tarifkonflikt zu einer gesellschaftspolitischen Kraftprobe eskalieren, wie sie seit dem siebenwöchigen Streik von 1984 nicht mehr stattgefunden hat. Noch ist die Gewerkschaft allerdings um Konfliktbegrenzung bemüht. Selbst nach Beginn des Streiks in Niedersachsen, so Riester im Gespräch mit der taz, könne frühzeitig die „besondere Schlichtung“ nach dem zwischen den Kontrahenten bestehenden Schlichtungsabkommen in Gang gesetzt werden. Es sei nicht zwingend, damit bis zur nächsten Eskalationsstufe, der für Mitte März angesetzten Urabstimmung im Tarifbezirk Küste, zu warten.
Die Gewerkschaft ist in den letzten Wochen schon dicht an ihre Schmerzgrenze gegangen. Von ihrer ursprünglichen Lohnforderung (5,5 bzw. 6 Prozent) spricht sie schon lange nicht mehr. Selbst der Inflationsausgleich steht kaum noch zur Debatte. Wenn es auf dem Gebiet der Arbeitszeitpolitik zu beschäftigungsichernden Vereinbarungen kommt, wird sich die Gewerkschaft mit einer nominalen Lohnerhöhung unterhalb der Inflationsrate zufriedengeben, also eine Reallohnsenkung hinnehmen. Derzeit bleiben noch zwei entscheidende Konfliktpunkte: Eine nominale Lohnsenkung, wie sie von den Unternehmern gefordert wird, ist für die IG Metall ebenso inakzeptabel wie das Verlangen der Arbeitgeber nach zeitweilig längeren Wochenarbeitszeiten für alle Beschäftigten.
„Ich kann persönlich keinem Arbeitslosen in die Augen sehen, wenn wir zulassen, daß die Arbeitszeit verlängert wird“, sagt Riester zur dieser Forderung. Er hält zwei mögliche Optionen dagegen:
– Durch eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, aber mit Beschäftigungsgarantien würden die Arbeitgeber die Kostenentlastung bekommen, die sie fordern;
– durch eine Arbeitszeitverkürzung mit je nach Lohnhöhe gestaffelten, in der Summe etwa 50prozentigen Lohnausgleichsregelungen könne so etwas geschaffen werden wie eine je nach betrieblicher Situation flexibel handhabbare „tarifliche Kurzarbeit“ als Alternative zu Entlassungen bzw. der klassischen Kurzarbeit. Außerdem hat die IG Metall bereits angeboten, die Ausgleichzeiträume für die derzeit geltende durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 36 Stunden von einem halben auf ein Jahr auszudehnen, also den Unternehmen größere Flexibilitätsspielräume zu verschaffen.
In dieser Tarifrunde, so Riester, steht das „Modell Sozialpartnerschaft“, das die gesamte westdeutsche Nachkriegsgeschichte geprägt hat, auf der Kippe. Mit dem Instrument des Flächentarifvertrags habe eine relativ homogene „Industrielandschaft“ in Deutschland geschaffen werden können, in der nicht nur die Lebensverhältnisse der Menschen, sondern auch die Konkurrenzverhältnisse der Unternehmen untereinander stabilisiert werden konnten. Riester zufolge seien aber auch viele Unternehmer durch diese spezifisch deutsche Tradition geprägt; auch sie wollten jetzt wieder zu verbindlichen und flächendeckenden Regelungen mit der Gewerkschaft kommen. Andererseits nehme das Unbehagen an den damit verbundenen Einengungen unternehmerischer Handlungsfreiheit zu. Welche dieser beiden Tendenzen sich durchsetzt, wird in den nächsten Tagen entschieden. Martin Kempe
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