Velowüste an der Spree

In anderen Städten wird das Stahlroß wesentlich häufiger benutzt. Die autozentrierte Planung vermiest den Berlinern die Lust aufs Radfahren  ■ Von Tobias Rapp

Radfahrer aus den Veloparadiesen westdeutscher oder niederländischer Provinzen reiben sich in Berlin oft verwundert die Augen. Eigentlich gebe es hier doch beste Voraussetzungen für eine fahrradgerechte Stadtplanung. Keine Berge oder Hügel, deren Steigung einem die Laune vermiesen könnte, breite Straßen, auf denen genug Platz für große Radstreifen sei, und ein kontinentales Klima mit relativ stabilen Witterungsverhältnissen: Wenn es morgens nicht nach Regen aussieht, bleibt es auch meist den ganzen Tag trocken. Doch wenn es an die konkreten Bedingungen für das Radfahren geht, nützen diese günstigen Rahmenbedingungen wenig. Berlin ist Fahrrad-Entwicklungsgebiet. Die Radwege sind schlecht oder fehlen ganz. Die Anzahl lebensgefährlicher Kreuzungen mit undurchschaubarer Linienführung für Radler ist erschreckend hoch. Und an den allgegenwärtigen Baustellen müssen Fahrradfahrer absteigen, wollen sie nicht überfahren werden.

Dementsprechend sieht auch der Anteil der Radfahrer am Verkehrsaufkommen aus. Mit sechs Prozent liegt Berlin weit hinter einer vergleichbaren Großstadt wie Hamburg, wo mehr als doppelt so viele Wege mit dem Stahlroß zurückgelegt werden, oder gar Freiburg, mit einem Radfahreranteil von mehr als 20 Prozent.

„Die politische Stimmung ist im Moment eher gegen die Radfahrer“, sagt Bernhard Weyrauch vom Arbeitskreis Verkehr beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Überall, wo gespart werden müsse, gelten Investitionen in eine fahrradfreundliche Stadt als überflüssiger Luxus. Angesichts der geringen Kosten für Weyrauch völlig unverständlich. Die Verantwortung für die Misere liege vor allem beim Bund und beim Senat. Die dortige Verwaltung stelle sich unter hauptstädtischem Verkehr eben keine fahrrad-, sondern eine autogerechte Stadt vor. In den Bezirken sei die Stimmung gegenüber den Radlern wohlgesonnener. Aber gerade an städteplanerisch wichtigen Punkten, wie dem künftigen Regierungsviertel, werden dem Bezirk Mitte Kompetenzen genommen, um autofreundliche Konzepte durchzusetzen. „Die Verkehrsplanung des Senats ist autoausgerichtet“, stellt Weyrauch fest. Die verkehrsplanerischen Lücken würden zugunsten der Autofahrer geschlossen.

Dabei sei es vergleichsweise günstig, den Verkehr velogerecht umzustellen. Fahrradrouten abseits der von Autos befahrenen Hauptverkehrsstraßen seien ohne großen Aufwand realisierbar. Diese Fahrradstraßen könnten durch Querpollerung, das heißt das Aufstellen von Betonhindernissen, für Autos unattraktiv gemacht werden. Jenseits des motorisierten Verkehrs könnten sich Radfahrer so schnell von Bezirk zu Bezirk bewegen. Auch in der Radwegeplanung dominiere die Haltung, nur keinen Quadratmeter Straßenfläche opfern zu wollen. Dabei sei es wesentlich billiger, Radfahrstreifen auf die Straßen zu malen, als die Bürgersteige umzugestalten.

Besonders sichtbar werde die verfehlte Fahrradverkehrsplanung in der neuen Berliner Mitte. Dem Bezirksamt seien die Kompetenzen, Fahrradstreifen auszuweisen oder Autoparkplätze umzuwidmen, entzogen worden, um einer allzu radlerfreundlichen Verkehrsführung vorzubeugen, sagt Weyrauch. Die Wilhelmstraße werde so wahrscheinlich keinen Fahrradstreifen bekommen.

Die ganze Mobilität, die infolge der Potsdamer-Platz-Gestaltung unweigerlich kommen werde, sei im wesentlichen daraufhin angelegt, mit dem Auto bewältigt zu werden, so Weyrauch. Das könne man auch an Details feststellen: An Parkhäuser werde immer gedacht, nach Radstellplätzen werde man in der neuen Mitte dagegen vergeblich suchen. Dabei reiche es aus, an Knotenpunkten wie S- und U-Bahnhöfen überdachte Fahrradständer aufzustellen.

Die BVG tue jedoch ein übriges, den Radlern das Leben schwerzumachen. Seit es nicht mehr möglich ist, das Fahrrad mit einem einfachen Monatsticket zu transportieren, sondern ein Einzelfahrschein oder eine teurere Umweltkarte fällig ist, wenn man sein Rad mit ins Grüne nehmen will, verdiene sie eigentlich nicht mehr den Namen Umweltkarte, sagt Weyrauch. In Wuppertal werde ein entgegengesetzter Weg beschritten, dort sei es jetzt sogar möglich, sein Rad mit in den Bus zu nehmen.

Für alle, die trotz unmöglicher Verkehrsführung an Baustellen und zu schmalen Radwegen sich im Frühling vor allem per Rad bewegen wollen, sei der Stadtplan „Berlin für Radfahrer“ des ADFC empfohlen. Straßen und Radwege haben hier je nach Velofreundlichkeit farblich gekennzeichnete Wege, und Radverleihe sowie Reparaturwerkstätten sind eingezeichnet.

Der BUND wird zum Sommer hin aktiv werden: Im Rahmen der „Schaustelle von unten“ werden die Umweltaktivisten mehrere instruktive Radtouren anbieten, und auch eine Ausstellung zur Verkehrsplanung in Berlins neuer Mitte ist in Vorbereitung.