Vattenfall über Krümmel: "Wir bitten herzlich um Geduld"
"Wir sagen alles, was wir wissen" - unter diesem Motto steht Vattenfalls neue Informationspolitik. Das lässt tiefe Einblicke in die tägliche Praxis zu - und beunruhigt.
Berlin, am 18. Juli 2007. Vattenfall-Chef Lars Göran Joseffson war eilig nach Berlin gereist, um seine Führungsriege von Vattenfall Europe in den Ruhestand zu versetzen. Im AKW Krümmel hatte gerade der Transformator AT 01 gebrannt, schlechtes Management und eine schlampige Informationspolitik folgten. "Viel Vertrauen wurde in den zurückliegenden Wochen verspielt", erklärte Joseffson damals, er stehe dafür, dass eine neue Informations- und Sicherheitskultur einziehe.
Berlin, am 8. Juli 2009. Eilig hat Tuomo Hatakka, Vorstandschef von Vattenfall Europe, zur Pressekonferenz nach Berlin geladen. Im AKW Krümmel war gerade der Transformator AT 02 ausgefallen, die Atomaufsicht bemängelt, dass nicht Vattenfall - wie vorgeschrieben - über das Ereignis informierte, sondern Anwohner und Polizei. "Wir haben erneut viel Vertrauen verloren", sagt Hattaka, nachdem er den Kraftwerkschef entlassen hat. Er persönlich stehe mit seinem Namen dafür, "dass das Unternehmen seine Lehren zieht".
Der Mann für die neue Informationskultur von Vattenfall ist Ernst Michael Züfle, Geschäftsführer der Vattenfall Europe Nuclear Energy. Züfle nutzt Worte wie "nach den bisherigen Untersuchungen", "Wicklungswiderstand" oder "Teilentladungsmessung". Dieses Messsystem hatte man nämlich am Transformator AT 01 einfach vergessen einzubauen. Deshalb konnte die kritische Situation nicht angezeigt werden, bis vergangenen Samstag 12.02 Uhr der Trafo ausstieg. "Daraufhin schaltete sich der Reaktor plangemäß wie vorgesehen selbst ab", doziert Züfle. Umgehend sei der "Betriebsleitungsbereitschaftshabende" telefonisch informiert worden, der 12.45 Uhr auf der Schaltwarte eingetroffen sei. Züfle: "Kurz darauf rief die Kieler Atomaufsicht dort an und fragte: Ist bei euch was?" Gern hätte Vattenfall selbst die Behörden informiert, "die Polizei und Anwohner waren aber schneller". Fest stehe aber: "Zu keiner Zeit hat eine Gefahr bestanden."
Keine Gefahr? Nahezu alle Ampeln waren in Hamburg als Folge zusammengebrochen, zahlreiche Wasserrohrbrüche zu beklagen, tausende Computersysteme ausgefallen: Wegen des Spannungsabfalls im Netz brach die Kunststoffproduktion von Bayer zusammen. Keine Gefahr? Und was hat der defekte Trafo mit dem Brennelement im Reaktorkern zu tun? "Nichts", sagt Zülke. "Sie müssen sich das so vorstellen: Da sind ungefähr 80.000 Brennelemente drin." So viel brauche man für eine Reise - wieder so ein Fachbegriff, der für den Zeitraum des Anfahrens eines AKW bis zur nächsten Revision steht. "Befüllen, Deckel drauf, und dann fahren wir zwölf Monate. Da passiert nichts mehr." In den vergangenen 24 Monaten lief Krümmel 14 Tage lang - und schon wars passiert. Kann Vattenfall Atomkraftwerke betreiben? "Selbstverständlich", sagt Hattaka. "Was in Krümmel passiert ist, war ein Einzelfall." Aber der zweite binnen einem Jahr. Züfle: "Solche Sachen passieren sehr, sehr selten." Bei Vattenfall offenbar nicht: 2004 wurde ein Kabelschaden im Trafo des AKW Brunsbüttel entdeckt. 2006 brannte im schwedischen AKW Ringhals ein Trafo.
Und viele Fragen bleiben offen. Wieso braucht ein verantwortlicher Ingenieur 43 Minuten bis in die Schaltwarte? Wieso wurde das schadhafte Brennelement nicht vorher entdeckt? Warum fiel dann nach vier Stunden das Reaktorwasserkühlsystem aus? Wie konnte das fehlende Messsystem übersehen werden? Kann Vattenfall ausschließen, dass nicht weitere Messinstrumente vergessen wurden? Zülke: "Da bitte ich sehr herzlich um Geduld. Das werden die Untersuchungen zeigen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin