: Vaterliebesmord
■ Diethard Potchuls Ausstellung im Atelier
Diethard Potchul recycelt seine alten Leinwände. Um ein Gestell aus Bohnenstangen gebunden, werden sie zu Objekten, die der Malerei den Abschied verkünden. Sie nehmen das Aussehen von Bahren an, erinnern in der Schrägstellung der Bohnenstangen aber auch an Zelte: Ein existentielles Assoziationsfeld zwischen den Polen Krankheit/Tod und Geborgenheit/Wärme öffnet sich. Wer jetzt schon Fett und Filz wittert, rät richtig. Im Innern der Zeltbahre ist auf das „Maltuch“, das in dieser Materialbezeichnung seine Nähe zum Schweißtuch Jesu betont, mit Erde und Asche die Silhouette des Mannes mit dem Hut gemalt.
Potchul hat seine Kunst zu einer unentwegten Begegnung mit Beuys gestaltet. In dem vielteiligen Objektzyklus das verschWINDen des joseph beuys von der bildfläche ist der Beuyssche Schattenriß einmal sogar aus der Leinwand herausgeschnitten: Diese Leerstelle wird zum Schlüsselloch, durch das Potchul das geheiligte Reich des großen Schamanen betritt. Daß sein ständiger Verweis auf das Verschwinden von Beuys die Voraussetzung für seine als Hommage gemeinte Produktion ist, unterschiebt dem Zyklus einen makabren Beigeschmack von Leichenfledderei. Die Begegnung wird zur Verdrängung: Vatermord am ständig projizierten Bild des Übervaters Beuys. Über sein Porträt, das uns in einer Reihe von Farbfotokopien jedesmal um eine Nuance vergrößert entgegenblickt, streut Potchul, von Mal zu Mal dichter, Erde. Kein Keilrahmenkreuz kann er mehr sehen, ohne gleich ein Totenkreuz für Beuys daraus zu machen.
Diethard Potchul arbeitet mit vielfältigen Materialien; doch seine Konstruktionen geraten immer wieder zur additiven Anhäufung von Zitaten und ordnen sich zu Reihen, an deren Ausgangsort eben Beuys und Mondrian, Potchuls zweiter Gott, lauern. Analogien der Form brachten ihn von den Bahrenobjekten zu Bügelbrettern, die er mit Stoff umwickelte und mit rot-gelb-blauen Bilderrahmen kombinierte: Fertig war Good bye Mr. Mondrian. Allein, der beschworene Abschied bleibt ein Wunschtraum. Weiter geistern die Mondrianschen Farben durch seine Assemblagen. Es ist wie verhext: Die Setzung eines gewöhnlichen Gegenstandes als neues Material der Kunst kann ihm nicht gelingen. Mit jedem Schlitten, den er im Berliner Trödel erwirbt, fährt er sich tiefer in den ausgeleierten Spuren fest.
Um sich gegen den Vorwurf des Epigonalen zu wehren, brauchte Potchul ein akutes Feindbild, gegen das er das Erbe von Beuys verteidigen muß. Er hat den Gegner in Willi Sitte entdeckt, dem Ehrenpräsidenten des Verbandes der Bildenden Künstler der DDR, der in Beuys‘ Umgang mit dem Material keinen Beitrag zur „Jahrtausende währenden Geschichte der Menschheitskultur“ sehen kann. An dieser Scheinfront führt Potchul nun den Kampf um die eigene Anerkennung.
Katrin Bettina Müller
Diethard Potchul, Macht hoch die Tür - gegen den unsittlichen Umgang mit der Avantgarde. Bis 30. Juni, Willibald-Alexis-Straße 5, Do. bis Sa. 16 bis 19 Uhr.
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