: „Vater, wie lange machst Du's noch?“
Es wird geerbt wie noch nie / Zum ersten mal durfte eine Generation ohne Inflation und Kriege Vermögen anhäufen ■ Von Thomas Leif
Eine gewaltige Geldwelle schwappt übers Land: 1,8 Billionen DM - so Schätzungen der Deutschen Bank - werden bis zum Jahr 2000 vererbt. Eine schier unvorstellbare Summe. Doch mittlerweile kassieren nicht wie früher allein die Kinder der Reichen viel Geld, sondern auch die Nachfahren einer breiten Mittelschicht. Der Grund - zum ersten Mal in der deutschen Geschichte stirbt eine Elterngeneration, die unbelastet von Kriegen und Inflation, ihr Arbeitsleben ein kleines oder großes Vermögen ansparen konnte.
Von dem Reichtum seines früh und plötzlich verstorbenen Vaters wurde auch Friedrich Wilhelm Dusche überrascht. Der 27jährige Landwirt bewirtschaftet heute den ererbten elterlichen Betrieb in Isernhagen. Ursprünglich wollte er einen ganz anderen Berufsweg einschlagen. Doch durch den Tod seines Vaters siegte die Vernunft und die Einsicht, doch den Betrieb zu übernehmen. Der sympathische, britisch -unterkühlte Endzwanziger, für viele Mütter der ideale Schwiegersohn, erinnert sich: „Die Trauer war im ganzen Familienkreis schon sehr groß. Doch ich habe versucht, diese Situation zu überwinden, indem ich mich voll in die Arbeit geworfen haben. Ich habe versucht den Betrieb zu leiten; und dabei kommt man im ersten Moment über manchen schwierigen Gedanken drüber weg. Man vertieft sich in die Arbeit.“
Überrascht und überfordert
Die neue Generation der Erben ist mit der unverhofften Erbschaft meist überfordert: Immobilien, Firmenbesitz, Antiquitäten, Wertpapiere und Bargeld sind plötzlich da. Anlageberater haben deshalb Hochkonjunktur. Denn für die neue Kundschaft ist das altmodische Sparbuch out; außergewöhnliche Geldanlagen haben den Vorzug. Mit einer wesentlich höheren Risikobereitschaft - so die Erkenntnis von Anlageberatern - betreiben die neubetuchten Jungen die für sie ungewohnten Kapitalgeschäfte.
Auch Friedrich Wilhelm Dusche will nichts überstürzen, wägt die Vielzahl der Anlagemöglichkeiten sorgfältig ab und denkt bei seinem Engagement vorrangig an eine seriöse Zukunftssicherung. Deshalb hat er erst einmal eine zusätzliche Rentenversicherung abgeschlossen und investiert ein paar hunderttausend Mark in ein größeres Mietobjekt. Was später kommt, wenn er seine attraktiven Grundstücke an interessierte Bauherren verkauft, läßt er noch offen. Seine Devise: nichts überstürzen, präzise kalkulieren und eine anständige Rendite erzielen. Keine Frage - die Herausforderungen im Zusammenhang mit seiner Erbschaft haben den jungen Landwirt verändert: „Die Erbschaft hat mir natürlich gewisses Selbstvertrauen gegeben, Erfolgseifer überkommt einen irgendwo, man möchte viel schaffen.“
Der neue Markt der Erben ist für die Finanz- und Anlagebranche ein begehrtes Objekt. Während der Führungskräftetagung des Allgemeinen Wirtschaftsdienstes in Frankfurt versuchten anerkannte Finanzexperten die neue Geldquelle „Erbschaften“ zu erschließen. Ihre Botschaft verkünden sie mit leuchtenden Augen - „Die Geldquelle Erbschaften ist einmalig“.
Mit ausgetüftelten Strategien wollen diskrete Anleger auf den lukrativen Markt reagieren, um sich ihr Stück aus dem Vermögenskuchen herauszuschneiden.
Der Münchener Top-Berater, Dr. Rolf Seebauer vom Münchner Institut für Markt-, Regional- und Wirtschaftsforschung brachte die Anlegestimmung auf den Punkt: „Dieser Markt der Erben ist tatsächlich ein schlafender Riese. Er ist noch weitgehend unerkannt. Als Zahl wissen wir heute schon, das von 1990 bis zum Jahr 2000 etwa dreimal soviel vererbt wird, wie von 1980 bis 1990.“ Gleichzeitig warnt Seebauer vor der „Euphorie des flüssigen Geldes“. „Die Hauptprobleme liegen darin, daß oft junge Menschen zu relativ viel Geld kommen, wenn sie eine Immobilie vererbt bekommen oder ein paar hunderttausend Mark und daß sie leichtsinnig werden.“
Hier setzt der mit seinen Anlagetips in nur wenigen Jahren zum Millionär aufgestiegene All-round-Berater Carsten Maschmeyer (30) an. Bevor er auf das Thema „Erbschaft“ kommt, philosophiert er über die „Geld-Kumulationsprozesse“ und kommt zu der knappen Lagebeurteilung, 1989 hatten die Bundesbürger insgesamt 2,8 Billionen DM auf der hohen Kante. Neugespart wurden im letzten Jahr fast 200 Milliarden DM. Die Zinserträge aus dem Gesamtvermögen betrugen allein circa 120 Milliarden DM. 1990 werden wahrscheinlich 110 Milliarden DM vererbt.“ Wenn man zusätzlich berücksichtigt, daß knapp vierzig Prozent der bundesdeutschen Haushalte im eigenen Heim wohnen und mehr als drei Viertel aller Erwerbstätigen sich ergänzend mit einer Lebensversicherung absichern, werden die Konturen möglicher Erbschaften klar. Trotzdem weist Maschmeyer auch auf die Klippen und Komplikationen beim Erbenmarkt hin: „Es ist ein unerkannter Markt, denn die Geldquelle ist ja nebulös, es ist ja ein Tabuthema. Da man ja nicht fragen kann: 'Vater, wie lange machst Du es noch und wieviel kommt da?‘, sind wir insgesamt etwas überrascht, merken aber jetzt verstärkt, gerade bei jungen Leuten, daß diese nicht nur sparen wollen, oder die Steuerlast senken wollen, sondern Geldanlagen suchen, um zu streuen, zu optimieren, zu diversifizieren.“
Schwarzes Geld
Auch die Banken und großen Immobilien-Händler in der Bundesrepublik haben sich auf die neuen Reichen eingestellt. Weil viele Erbschaften oft mit dem sogenannten unversteuerten, schwarzen Geld verbunden sind, verstecken sich viele Junge Erben in der Anonymität und Diskretion. Berthold M. aus Hannover beispielsweise, Tontechniker beim Rundfunk, hat einen Teil seiner Erbschaft in sogenannten „ethischen Fonds“ angelegt, die ihre Aktienpakete bewußt nach umweltverträglichen Kriterien durchforsten und Rüstungs - und AKW-Beteiligungen ausschließen (siehe taz vom 12.4.). Trotzdem will er in der Öffentlichkeit nicht über seine Erbschaft reden. Sonst könnte ja der Fiskus aufhorchen und die Umstände der Erbschaft einmal genau unter die Lupe nehmen. Denn viele Erben stehen ja vor dem Problem, jahrelang unversteuerte Anlagen und Barbestände plötzlich legal im Inland anzulegen. Die Flucht in die vornehm -diskrete Schweiz und die europabegeisterte Bank -Nachbarschaft ist die Folge.
In dieser Situation dienen sich die Banken an. Sie empfehlen für den Erbfall vorzusorgen, um beispielsweise die Erbschaftssteuer möglichst gering zu halten. Denn die Länder kassieren kräftig ab: allein 1989 zwei Milliarden DM. Durch die geplante Erhöhung der sogenannten Einheitswerte - der Bemessungsgrundlage für die Erbschaftssteuer - sollen die Einnahmen noch gesteigert werden.
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