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Vandalen sitzen auf Marzahner Schulbänken

■ Bildungsstadtrat Wolfgang Unger beklagt Aggressivität der Schüler/ Grund: Arbeits- und Perspektivlosigkeit, aber auch Umstrukturierung des Schulsystems/ Viele Kinder in der 6. und 7. Klasse fühlen sich vom Leistungsdruck überfordert

Berlin. In den ersten Monaten des Schuljahres hat die Gewalt an Marzahner Schulen wie auch in anderen Bezirken im Ostteil Berlins zugenommen. Das schätzte Bildungsstadtrat Wolfgang Unger auf einer Pressekonferenz in einer Schule des Neubaubezirks ein. Vor allem Aggressivität der Schüler untereinander sei zu beoachten gewesen, das Problem habe inzwischen jedoch wieder abgenommen. Körperverletzungen, die angezeigt wurden, waren Unger zufolge die Ausnahme.

Gewalt von Schülern gegenüber Lehrern wie direkte Drohungen oder zerstochene Autoreifen spiele kaum eine Rolle. Weitaus schwerwiegender sei das Problem des Vandalismus in Marzahn, dem mit 33.000 Schülern größten Schulbezirk der Stadt. Die sechs- bis 16jährigen könnten sich in vielen Fällen nicht mit ihrer Schule identifizieren, oft werde sie nur als Lernort angesehen.

Schlechte Turnhallen und betonierte Schulhöfe

Eine Ursache für die verschiedenen Formen von Gewalt sieht der Bildungsstadtrat in der mit 15 Prozent relativ hohen Arbeitslosenrate im Bezirk und der daraus erwachsenden Perspektivlosigkeit für nicht wenige Einwohner. Zum anderen habe die Umstrukturierung des Schulsystems nicht nur den Schülern, sondern auch den Lehrern zu schaffen gemacht. Ein weiterer Faktor seien die schlechten Bedingungen an den Schulen wie heruntergewirtschaftete Klassenräume, zum Teil katastrophale Sanitäreinrichtungen, zu wenige und schlecht ausgerüstete Turnhallen sowie betonierte Schulhöfe ohne Grün.

Aber auch die völlig neue Zusammensetzung der Kollegien und Klassen bringe Schwierigkeiten mit sich. Den Lehrern, die sich erst mit neuen Rahmenplänen vertraut machen mußten, bleibe weniger Zeit für die Schüler. Zudem kämen viele Mädchen und Jungen nicht mit den harten Zensurmaßstäben zurecht und fühlten sich vor allem in den 6. und 7. Klasen einem besonderen Leistungsdruck ausgesetzt. Auch die Hinwendung der Eltern zur Schule wurde im ersten Halbjahr vermißt.

Die Gewalt unter seinen Schülern habe in den ersten beiden Monaten des Schuljahres erschreckende Ausmaße angenommen, berichtete Jörg Schulz, kommissarischer Schulleiter der einzigen Marzahner Hauptschule. Neben Rüpeleien habe es auch Auseinandersetzungen gegeben, die mit Fäusten und Stiefeltritten ausgetragen wurden, wenn auch nur von wenigen.

Erfolglose Gespräche mit Eltern

Nachdem Gespräche mit Schülern und Eltern kaum Erfolg gezeigt hätten, sei die Zusammenarbeit mit der Polizei gesucht und jede Körperverletzung angezeigt worden. Seit den Herbstferien, so Schulz, habe es kaum noch gewaltsame Streits gegeben. Doch besprühte Wände oder eingetretene Türen machten den Lehrern weiterhin zu schaffen.

Auch an den Gesamtschulen existiere das Gewaltproblem, so der Leiter der 3. Gesamtschule Jens- Uwe Marks. Vor allem für die großen Pausen, in denen die meisten Streitigkeiten ausgetragen werden, habe man deshalb versucht, verschiedene Freizeitbereiche zu schaffen.

Neben einer großen Bibliothek steht den Schülern ein Café, ein Kraftraum sowie ein Zimmer, in dem laute Musik gehört werden kann und das auch nach dem Unterricht offen ist, zur Verfügung. Wer im Unterricht auffällig und besonders aggressiv wird, verlasse manchmal für ein Gespräch mit einem Sozialpädagogen den Klassenraum.

Positiv auf das Klima habe sich der Kursunterricht in kleineren Gruppen ausgewirkt. Auch die Lehrer hätten lernen müssen, daß sich mit einem freundlichen Umgangston mehr erreichen läßt als mit Druck, so Marks.

Die Medien spielen bei den Kindern im Zusammenhang mit Gewalt eine bedeutende Rolle, meinte die Leiterin der 29. Grundschule, Christa Knoppick. Ein 12jähriger sieht am Wochenende durchschnittlich sechs bis sieben Spielfilme, in denen Brutalität offen gezeigt wird, ergab eine Umfrage unter Schülern der 6. Klasse ihrer Schule. adn

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