Van Gogh-Schau in Basel: Der Mythos solls richten
Bis 27. September 2009 zeigt die Ausstellung "Zwischen Erde und Himmel" im Kunstmuseum Basel 70 Landschaftsbilder Vincent van Goghs. Leider ist die Präsentation eintönig.
Kein Maler erfüllt den Künstlermythos so perfekt wie Vincent van Gogh. Wie eine Folie muss er seit über hundert Jahren für die Projektionen der Moderne herhalten. In dem knappen Jahrzehnt seiner künstlerischen Produktivität hat er den Impressionismus in einem rasanten Sonderweg zum Expressionismus entfaltet. Er hat mit seinem Freund und Gegenspieler Paul Gauguin um das Verhältnis von Malerei und Wirklichkeit gerungen, bis aufs Blut. Er hat sich körperlich und seelisch so verausgabt, als hätte er seiner künstlerischen Meisterschaft nur dadurch Ausdruck verleihen können, sich selbst zugrunde zu richten. Vincent van Goghs Leben und Werk scheinen eine untrennbare Einheit zu bilden.
Das Kunstmuseum Basel tritt nun mit dem rationalen Konzept an, van Gogh als Landschaftsmaler zu porträtieren, dessen biografischer Leidensweg nur ein Aspekt unter vielen ist. "Zwischen Erde und Himmel" ist die Ausstellung betitelt und bekräftigt damit die Bodenständigkeit van Goghs, der sich in der Nachfolge niederländischer Landschaftsmeister wie Jacob van Ruisdael verstand und die Tradition der französischen Pleinairmalerei der Schule von Barbizon aufnahm. Die Erde, wie sie bestellt wird, was sie hervorbringt und was sie den Menschen abverlangt, hat van Gogh früh zu seinem Thema gemacht. Sämänner, Schnitter und Pflückerinnen vor ins tonige Dunkel geduckten Häuschen und Scheunen, schwer mit der Scholle kämpfend, wirtschaften auf seinen Gemälden. Nicht nur Kartoffelesser, sondern das gesamte Umfeld der Agrargesellschaft kurz vor ihrer drastischen Veränderung durch die Industrialisierung.
Als van Gogh 1883 vorübergehend ins Pfarrhaus seiner Eltern zurückkehrte, war sein Bruder Theo schon längst Kunsthändler in Paris und versuchte ihn per Brief von der Lichtmalerei der Impressionisten zu überzeugen. Van Gogh blieb in Brabant, vorerst. Doch die intellektuelle Beschäftigung mit Farbtheorie und den Bildrevolutionen in der Kunstmetropole zeigte Wirkung. So beginnt die Baseler Ausstellung mit einem aufschlussreichen Querformat. In "Blumenbeete in Holland" erstreckt sich unter wolkenverhangenem Himmel und vor der düsteren Silhouette zweier Bauernhöfe ein streng gen Horizont fluchtendes Karree von Tulpenbeeten. Die einzelnen Blumen löst van Gogh auf in fast reinfarbig flackernde Flächen, unterteilt nur vom Raster der Laufwege, so als wolle er die abstrakte Farbfeldmalerei des 20. Jahrhunderts schon einmal als gärtnerische Maßarbeit vorwegnehmen.
Auf das, was van Gogh in den kommenden Jahren heraufbeschwören sollte, scheint die auf den ersten Blick traditionelle "Wassermühle in Gennep" im Detail schon hinzuweisen. In die vorherrschenden Braun- und Grautöne mischt er Hellblau, Rosa, Grün. Die Schattierungen legt er in dicken Pinselstrichen nebeneinander, die gleichermaßen noch eine aus Holzbrettern gezimmerte Schuppenwand kennzeichnen, aber auch schon auf seinen konsequenten und radikalen Einsatz von Farbe hinweisen, die er bis zu seinem Tod 1890 perfektionierte.
1885 zieht Vincent van Gogh für zwei Jahre nach Paris und holt innerhalb kürzester Zeit nach, was die Impressionisten um Claude Monet, Camille Pissarro und Edgar Degas in den Dekaden zuvor erarbeitet hatten. Er beschäftigt sich intensiv mit der pointillistischen Technik optischer Farbmischung, die Georges Seurat erfunden hatte. Mit Theo macht er einen Deal. Der Bruder finanziert ihn, dafür bekommt er alle Landschaftsbilder, die Vincent malt. Und davon entstehen reichlich. Formal immer extremistischer, bleibt er jedoch seinem Anspruch treu, über die Abbildung der Natur deren Wahrheit wiederzugeben.
Der Name als Zugpferd
Das Kunstmuseum Basel hat 70 Gemälde aus allen Phasen van Goghs in der weltweit ersten Gesamtschau seines Landschaftswerks zusammengetragen. Die Ausstellung präsentiert sich als Jahrhundertereignis, auch in Abgrenzung zur letztjährigen Huldigung van Goghs als Zeichner in der Albertina Wien.
Leider ist die Präsentation eintönig. Bernhard Mendes Bürgi, Direktor des Kunstmuseums und seine Kokuratorin Nina Zimmer haben die Bilder brav chronologisch in eine Reihe gehängt. Kabinett für Kabinett folgt Bild für Bild auf gleicher Höhe mit gleichem Abstand zueinander, als gelte es den Besuchern und Besucherinnen noch klarzumachen, dass jedes einzelne Gemälde ein solitäres Meisterwerk ist. Statt Bezüge zwischen einzelnen Exponaten unterschiedlicher Werkgruppen aufzumachen, vertraut die Ausstellung auf die Bildgewalt des Werks, alles Übrige soll der Mythos richten.
Doch mit einem Posterkünstler wie van Gogh, dessen Kornfelder und Zypressen von Kaffeetassen und Regenschirmen prangen, dessen Farborgien wie dafür gemacht scheinen, die Kreditkarten des Hauptsponsors der Ausstellung zu verzieren, muss mehr gearbeitet werden, um ihm bei der medialen Überpräsenz noch neue Facetten abgewinnen zu können. Diese Mühe hat die Schau gescheut, offenbar ist der Name van Gogh Zugpferd genug. Die Entwicklung, die er als Maler binnen acht Jahren gemacht hat, ist zwar ablesbar, dafür genügen aber auch zwanzig Bilder. Der ungeheure logistische und finanzielle Aufwand, Gemälde aus aller Welt zusammenzuführen, und das Glück, auch selten gezeigte Werke integrieren zu können, hätten jedoch genutzt werden müssen, um van Gogh stärker in Kontexte zu setzen. An Ideen dazu mangelt es nicht, wie etwa im Katalog die serielle Arbeitsweise thematisiert wird oder seine Bildfindung auch als Folge eines wirtschaftlichen Kalküls erklärt wird. So aber bleibt der Maler in der Ausstellung wie im eigenen Leben: meisterhaft, aber isoliert und einsam.
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