piwik no script img

berliner szenen„Vagina Monologe“

Mit Adrienne Goehler

Unsere Hochkultur ist ja oft so hoch, dass die Menschen von ihr weder wahrgenommen noch erreicht werden. Kultur, die trotzdem jemanden erreicht, gerät leicht in Verdacht, gar keine Kultur zu sein. Mit gespitzem Bleistift sah man am vergangenen Freitagabend viele Berliner Journalisten in der Treptower Arena sitzen, wo jetzt die zweite Staffel der „Vagina Monologe“ zu sehen ist. Spitz war der Bleistift nicht, weil dem Publikum mal wieder erklärt werden musste, dass es sich hier um eine Veranstaltung handelt, die ein Kulturgänger auf der Höhe der Zeit nicht ernstnehmen muß. Spitz wollte man vor allem werden, weil der Gaststar des Abends Adrienne Goehler hieß. Wie gerne hätte man die Kultursenatorin ein bisschen kulturlos erlebt! Doch alle warteten ganz vergebens. Adrienne Goehler absolvierte ihren Auftritt frei von Peinlichkeit und las den Text einer vergewaltigten bosnischen Frau. Die Diskursspezialisten haben befunden, die Vagina-Monologe seien passee, weil sie aus der Siebziger-Jahre-Selbsterfahrungsecke stammen. Nur bis zu den Vergewaltigern hat sich das noch nicht herumgesprochen. Im Publikum saßen massenhaft Leute, die vielleicht zum ersten Mal erlebten, dass man das Wort „Fotze“ auch ganz anders aussprechen kann. Dass man Begriffe wie diesen erst semantisch erobern muß, wenn man die Haltung, für die er steht, verändern will. Adrienne Goehler buchstabierte ihn ganz uspektakulär: F wie Finanzloch. O wie Overheadkosten. T wie Tarifsteigerung (fällt aus). Z wie Zwischenfinanzierung und am Ende E wie ewige Koalitionsverhandlungen. Auf Premieren zwischen den Promis glänzen kann jeder. Um sich auf derart vermintes Gelände zu begeben und darin zu überleben, braucht man Mut. ESTHER SLEVOGT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen