■ Das neue Ostertrauma: Väter, Väter
Den Redakteur trieb es dieser Tage an den Ostseestrand. Auf der Terrasse eines Restaurants, dessen Kellner im Takte einer sozialistischen Stechuhr arbeitete, saßen am Nebentisch zwei Kleinfamilien. Die Stimmung dort ähnelte der Überschrift, die der Redakteur beim Durchblättern eines Nachrichtenmagazins gelesen hatte und die auf Ostdeutschland gemünzt war: ein „explosives Gemisch“. Zwei Männer in fürsorglicher Belagerung. Umstellt von ihren beiden Ehefrauen und ihren beiden Söhnen, gezwungen, für ein paar Stunden Aufmerksamkeit zu schenken. Geballte Ladung Aggressivität, die sich am hartnäckigen Studium der Tageskarte abreagiert. Gelangweiltes Rauchen, Fluppe um Fluppe. Zwei Kleinfamilien wie aus einer Werbebroschüre eines Singlevereins: gelangweilt, seiner selbst und seines Gegenübers überdrüssig. Die Frauen dabei immer noch verzweifelt um Gemeinschaft bemüht, sich abrackernd am Stumpfsinn ihrer Männer. Ob er denn nicht seine Sonnenbrille aufsetzen wolle? Die Antwort zu lästig, daher nur brummiges Kopfschütteln. Die beiden Söhne haben ihre Väter noch nicht aufgegeben. Kartenspielen, Ballspielen, über den Strand laufen? Da hagelt es Platzverweise: „Setz dich hin!“, „Du bleibst jetzt hier!“, „Du gehst mir nicht weg!“ Einer der Jungen wagt gar eine Umarmung. Abschütteln. „Laß das!“ Zwei Familienväter im Ostertrauma. In Berlin zurück, fällt der Blick des Redakteurs auf eine große Stelltafel. Geworben wird da für ein buntes, freches Frauenmagazin. Thema: die „neuen Kuschelväter“. Severin Weiland
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