VW-Werk in China: Empörung reicht nicht
Die moralische Entrüstung über das VW-Werk in Xinjiang greift zu kurz. Denn es bietet relativ gute Jobs und Bedingungen.
S eit Langem prangern Journalisten und NGOs das VW-Werk im westchinesischen Xinjiang an – jener Provinz, wo Hunderttausende Uiguren Zwangsarbeit verrichten. Konzernchef Herbert Diess sagte 2019 in einem BBC-Interview schnippisch, er sei sich der Existenz der Umerziehungslager in Xinjiang nicht „bewusst“. Das war ein PR-Fiasko – gerade für ein deutsches Unternehmen, das während der Nazi-Herrschaft massiv historische Schuld auf sich geladen hat.
Die Debatte über die Arbeitsbedingungen vor Ort und die Lieferketten setzt internationale Unternehmen zu Recht unter Druck. Die VW-Spitze rechtfertigt ihre Praxis nun selbstbewusst. Diess sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dass in dem Werk schließlich Arbeitnehmerrechte und Sozialstandards sichergestellt seien.
Xinjiang in der westchinesischen Wüste ist der wohl umstrittenste wie auch wirtschaftlich unrentabelste VW-Standort. Das Werk wurde auch auf Druck der chinesischen Regierung gebaut, die die strukturschwache Region fördern will – und möglicherweise auch, um die Menschenrechtsverbrechen zu übertünchen.
Diess erntet in den sozialen Medien viel moralische Entrüstung. Das ist naheliegend, zu naheliegend. Denn der VW-Chef liegt durchaus richtig. Wem würde es nützen, wenn VW sein Werk in Xinjiang schließt? Das würde das schlechte Gewissen in Deutschland lindern – vor Ort würde es schaden, auch den Angehörigen der verfolgten Minderheit der Uiguren. Denn für die ist eine Stelle im VW-Werk sowohl verdienstmäßig als auch von den Arbeitsbedingungen her ein deutlicher Fortschritt.
Doch gleichzeitig macht es sich Diess zu einfach, wenn er meint, für VW Zwangsarbeit in der chinesischen Zuliefererkette ausschließen zu können. Kürzlich haben internationale Wirtschaftsprüfer bekannt gegeben, wegen der Intransparenz chinesischer Behörden keine Zulieferketten westlicher Unternehmen mehr auf Zwangsarbeit zu durchleuchten. Da sind kritische Nachfragen an VW angebracht. Woher will der Konzern wissen, dass seine Zulieferketten in China menschenrechtskonform sind?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Friedensgespräche“ in Riad
Die Verhandlungen mit Russland sind sinnlos
Trumps Kampf gegen die Universitäten
Columbia knickt ein
Kostenloser Nahverkehr
Schafft endlich die Tickets ab
Ökonom über Steuersystem
„Auch in der Mitte gibt es das Gefühl, es geht ungerecht zu“
Ergebnis der Abstimmung
Pariser wollen Hunderte Straßen für Autos dichtmachen
CDU diskutiert Nord-Stream-Pipeline
Möglichst schnell wieder russisches Gas importieren