VIZEPRÄSIDENT UND WAHLKÄMPFER AL GORE MACHT IN POPULISMUS: Selten sinnloser Streit
Das Gezerre um den 6-jährigen kubanischen Flüchtlingsjungen Elián González wird immer grausiger. Die politischen Protagonisten auf beiden Seiten versuchen, aus dem Schicksal des Jungen politisch Kapital zu schlagen, koste es, was es wolle. Al Gores jüngster Vorstoß, auch der in Kuba lebende Vater solle doch in den USA ein Bleiberecht erhalten, ist da besonders infam, weil durchsichtig. Sicher, das wäre schon was: Kein Kind in die Diktatur zurückgeschickt, aber auch keinen Vater um das Sorgerecht betrogen. Dass der Vater nicht will, dass die US-Gerichte bislang anders entschieden haben, dass täglich Migranten, auch Kinder, in viel schlimmere Situationen abgeschoben werden – all das interessiert den Wahlkämpfer Gore in diesem Moment nicht. Er versucht mit seinem Vorstoß nicht nur, die exilkubanischen Stimmen aus Miami im wichtigen Staat Florida zu gewinnen, sondern auch sein Image als durch das Vizepräsidentenamt gehemmte „lahme Ente“ loszuwerden. Öffentlich ein bisschen Unsinn reden, wenn dabei nur gezeigt werden kann, dass das Herz auf dem rechten Fleck sitzt, kommt da gerade recht.
Um das Wohl des Kindes geht das alles nicht – natürlich nicht. Das kubanische Regime organisiert im Tagesrhythmus Großdemonstrationen für die Rückkehr des in den imperialistischen Norden „entführten“ Jungen. Gores Einladung an Eliáns Vater ist für Castros Propaganda eine Steilvorlage – die der Máximo Líder bereits dankend aufgenommen hat, indem er sich empörte, man müsse so etwas doch vor allem mit den Beteiligten absprechen. Je mehr Elián in den USA zum Spielball politischer Interessen wird, umso menschlicher gibt sich Fidel Castro. Und das kann er gut.
Die für das Regime riskanteste Phase aber kommt erst: wenn Eliáns Vater tatsächlich nach Miami reisen sollte, um seinen Sohn abzuholen. Inzwischen hat die kubanische Seite 31 Personen auf die Liste der Delegation gesetzt, die ihn begleiten soll. Offenbar soll ganz sichergestellt werden, dass er nicht doch noch auf dumme Gedanken kommt und ebenfalls Asyl in den USA beantragt, statt mit Elián den Triumphzug nach Kuba anzutreten. Für Castro wäre das der propagandistische Super-GAU, darf also nicht passieren – und wird auch nicht.
Noch selten in der Geschichte des Konfliktes zwischen Kuba und den USA ist ein Streit so ohne jeden Sinn ausgetragen worden. Es geht ausschließlich ums Prinzip, um das Demonstrieren von Macht und Einfluss. Dass vor nicht ganz einem Monat Teile der US-Embargobestimmungen gelockert wurden, eigentlich viel bedeutsamer, ist in dem ganzen Elián-Geschrei untergegangen. So geht pragmatische Politik. Leise. Wahlkampf aber geht bekanntlich ganz anders. BERND PICKERT
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