VILLAGE VOICE: Zwischen Tanz und Kunstanspruch
■ Die beiden ersten Platten des Ostberliner Kleinstlabels »le coq records«
Le coq records« sind so independent, daß sie sogar noch den Vertrieb selbst versuchen. Die Keimzelle dieses neuen Ostberliner Labels ist die umbenannte Undergroundkapelle »Oh Yeah Crap!«. De Feixen sind deren Nachfolgeband, die Besetzung ist dieselbe. Immer noch dabei sind der ehemalige (oder immer noch?) Deutschlehrer Bernd Quittkat und sein ehemaliger Schüler Ritzo Idzikowski, kennengelernt hat man sich damals in der Schule, bei der gemeinsamen Arbeit an einem Theaterprojekt — wie konnte es anders sein. Dazu noch Brit Quittkat, Bernds Frau und zuständig für Backing Vocals, ebenso Trommler Olaf Bieräugel und Bassist Steffen Heinrich.
Auch musikalisch hat sich die Band auf den sechs Stücken der Mini-CD Bla wenig geändert. Immer noch sind ihre Töne schrill und ihre Ideen krude. De Feixen delirieren von prügelnden Punkgitarren zu piepsenden, kleinen Licks, von harmonischen Hintergrundgesängen zu widerlichem Gekeife. Sie vermanschen das Peter Gunn Theme, und sie schreiben gute Texte: »Blauweißrot gegen Blauweißrot/ Plastersteine schlagen frische Mäuler tot«. Sie halten nicht das Maul, immer noch nicht, und das ist gut so.
Der Kunstanspruch mag manchen zu deutlich zutage treten, aber ihre Ideen sind zu gut, als daß sie so einfach zwischen den lärmigen Lauten verlorengehen könnten. Hier und da wäre vielleicht etwas Straffung angebracht, wäre ein Produzent nötig gewesen, der die auseinanderzuckenden Geistesblitze zusammenführt. So ist Bla zwar extrem abwechslungsreich, aber trotzdem sind alle sechs Stücke gut einer einzigen Band zuordenbar.
Die zweite Veröffentlichung von le coq ist die LP Petting von Pizza Brain. Auch hier mischen Quittkat und Ritzo wieder mit. Daneben Alex Hirche (Ex-Tina Has Never Had A Teddy Bear), Sascha Bading (Ex-Drys & Wet) und Heiko Seibt (Ex-Struggel For Fun), also fast so etwas wie eine Ost-Supergroup. Auf Petting finden sich gleich 25, entsprechend kurze, Stücke, deutlich poporientierter als die von De Feixen, was vor allem in den Arrangements zum Ausdruck kommt. Bläser schmeicheln sanft oder dröhnen soulig, und die Gitarren flirren schon mal, als wäre eine gute alte Rickenbacker im Spiel.
Trotz des offensichtlichen Bemühens um den eingängigen Popsong bleiben Pizza Brain immer sperrig, schon wegen Quittkats Stimme und seinem Akzent bei den englischen Texten, vor allem aber wegen der Kürze der Stücke: Bevor man sich überhaupt an eine der unzweifelhaft schönen Melodien gewöhnt hat, ist's schon wieder vorbei. Außerdem mischen sich zwischen die Popsongs immer wieder ganz klassische Punksongs oder einfach zehnsekündige Kreischrocker.
Erklärter Einfluß sind mit zwei Coverversionen die Undertones, auch wenn Pizza Brain eher kunstvoll verquer sind, wo die Undertones ihrer urbanen Liebe zum klassischen Soul frönten. Zueigen ist beiden Kapellen die gelungene Verknüpfung einfacher Popharmonien mit punkscher Radikalität und Gitarrenarbeit. Bei den Iren kam dann Tanz, bei den Ostlern kommt Kunstanspruch heraus. Aber das ist ein allgemeines deutsches Manko.
Es ist nötig, daß sich der Ostberliner Underground schnell organisiert, weil dort nur eine Struktur entstanden ist, wo sie bereits vorhanden war. Amiga unter anderem Namen, die Herren von City als Labelbesitzer und andere Beispiele. Wenn le coq es weiterhin schaffen, ihre Künstlerfreunde zu Popmusikern umzubauen, weiter so gute Cover machen und die Produktion stimmt, sollte ihr erklärtes Vorhaben, die armen Wessis auszubeuten, vielleicht in die Tat umzusetzen sein. Der erste Schritt dahin ist die nächste Veröffentlichung. Vorgesehen ist die Instrumental- Rock'n'Roll-Combo Space Hobos, die damit die erste Westband auf einem Ost-Indie wären. The Empire strikes back. Thomas Winkler
De Feixen: Bla , le coq 001
Pizza Brain: Petting , le coq 002
Beide im Eigenvertrieb über le coq records, Heiligenstadter Str. 2, O-1092 Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen