VILLAGE VOICE: Die Monotonie als verbindendes Element
■ Trotz verschiedener VokalistInnen wie aus einem Guß: »Head On!« von Die Haut
Ganz und gar nicht normal verlief die Karriere von Die Haut. Mal war die Band völlig verschwunden, dann wieder aufgetaucht. Einzelne Mitglieder wurden ausgetauscht, erschienen woanders — oder eben wieder bei Die Haut. Aber diese Band ist auch keine gewöhnliche, zu sehr überschneiden und widersprechen sich die verschiedenen Ansätze der Arbeit. Mal instrumentale Gitarrenband, mal Begleitband eines Vokalisten, mal kreative Zusammenarbeit mit SängerInnen. Als es Mitte der Achtziger fast so schien, als hätten sich die Herren Arbeit, Dreher, Wydler und Lingk ins Schicksal der Begleitband von Nick Cave gefügt, erschien »Die Hard«. Eine reine Instrumentalplatte, die das eine Extrem der Möglichkeiten definierte; und klarstellte, daß Die Haut eine Band ist, die einen sehr eigenen, selbständigen Stil pflegt.
So freigeschwommen konnte man zum Teil zwei der Selbstfindung übergehen. Für »Head On!« wurde die Zusammenarbeit mit Vokalisten nicht nur sporadisch und spontan angegangen, die Platte ist von vornherein nach dem Die-Haut- plays-Best-of-Friends-Konzept geplant. Instrumentale Tracks wurden aufgenommen und an Bekannte und Freunde verschickt. Diese schrieben dann ihre Texte, flogen ins Studio und nahmen die Gesangsparts auf. Ausnahmen wie Deborah Harry, die das Ganze nicht recht verstanden hatte und ihren Text erst im Studio schreiben mußte, kamen selten vor. »Head On!« versammelt Kim Gordon (Sonic Youth), Alan Vega (Suicide), Cristina (Boss Hog), Debbie Harry (Blondie), Jeffrey Lee Pierce, Kid Congo Powers (beide Gun Club), Blixa Bargeld (Einstürzende Neubauten), Lydia Lunch und die Poetin Anita Lane.
Trotz der Differenz der Stimmen klingt das Ergebnis wie aus einem Guß, wie die Platte einer Band. Zwar hat jeder und jede allein durch sein/ ihr Timbre eine persönliche Seite eingebracht, aber genau das wollte Die Haut: daß Neues entsteht aus dem Zusammenwirken zweier kaum übereinstimmender Einzelteile. Auch deshalb ist das Fehlen von Nick Cave nur konsequent — man kennt sich zu gut.
Natürlich hört sich »Intoxication« ein wenig nach Sonic Youth an, weil Kim Gordons Stimme in ihrer Lakonie so einmalig ist und weil sich der Song langsam aufbaut und seine Stärke aus der anschwellenden Monotonie gewinnt. Überhaupt hat Die Haut die Monotonie als verbindendes Element zwischen den Stücken gewählt, vielleicht auch weil sie sich gezwungen sahen, »singbare« Stücke zu schreiben, und sich nicht den unbegrenzten Möglichkeiten des instrumentalen Spiels hingeben konnten.
Am eindeutigsten erkennbar ist Jeffrey Lee Pierce, bedingt durch seine außergewöhnlich hohe Tonlage, aber auch weil die Monotonie der Haut dem Songwriting des Gun Club sehr nahekommt; auch dort kündigte sich der Refrain meist durch die Zunahme der Lautstärke und seltener durch einen Wechsel der Harmonien an. Außerdem natürlich Blixa Bargeld, weil man den überall raushört und er zudem noch für die Betextung und Besingung der zwei Balladen verantwortlich zeichnet; beides übrigens Duette mit Cristina bzw. Anita Lane, womit Bargeld die schöne Tradition wiederbelebt, die er mit Nick Cave begonnen hat.
Alles in allem klingt »Head On!« wie die Essenz gewisser prägender Musiken der achtziger Jahre: reminiszenzartig bei Pierce, manchmal wie der endgültige Abschluß unter längst vergangene Zeiten bei Debbie Harry oder auch wie stures Beharren auf dem Erreichten bei Lydia Lunch. Selten nur tut sich Ungehörtes auf, wie bei Alan Vega, der bisher kaum in einem derartigen Gitarrensaft schmorte. Vor allem aber zeigt »Head On!«, daß Die Haut in der Lage ist, verschiedenste Vokalisten für eigene Zwecke zu intrumentalisieren. Die Haut ist eine eigenständige Band, ob nun mit oder ohne Gesang. Die ausnahmslos mit Stimme verzierten Songs von »Head On!« machen dies absurderweise noch offensichtlicher als die Instrumentalaufnahmen von »Die Hard«. Thomas Winkler
Die Haut: »Head On!«, What's So Funny About 122, EFA
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen