VERTUSCHUNGEN IN FRANKREICH: Verschwiegene KatastrophenVielleicht ein Seebeben?
Deshalb hat der Westen Russlands Informationspolitik nur halbherzig kritisiert: Auch hier gilt für tauchende Reaktoren Geheimhaltungsstufe eins
PARIS taz ■ Le Redoutable – der Gefürchtete – ist harmlos geworden. Offiziell strahlt er nicht einmal mehr. Denn die knapp zehn Meter dicke Scheibe des 128 Meter langen französischen U-Bootes, in dem sich der Atomreaktor befand, ist herausgeschnitten worden. An seiner Stelle schweißten Techniker des Rüstungsunternehmens DCA eine ebenso dicke Scheibe unbelasteten Metalls ein. „Le Redoutable“ liegt jetzt wieder in Originalgröße in einem Becken in der normannischen Hafenstadt Cherbourg. Dort wird das Schmuckstück der ersten Generation französischer atombetriebener U-Boote, das 1971 in Dienst ging, ab 2002 als Museum dienen.
Das strahlende Herz des „Redoutable“ und die nuklearen Kerne der drei anderen in den 90er-Jahren verschrotteten französischen U-Boote der ersten Atom-Generation liegen jetzt in Abklingbecken in Cherbourg. Nach Auskunft von Jean-Noël Delabrousse, Offizier im Hauptquartier der französischen Marine, werden sie dort mindestens ein Jahrzehnt lang „beschützt und überwacht“. Anschließend sollen sie in Stahlcontainer verschlossen und in Betongebäuden in Cadarache im Rhône-Tal gelagert werden. Ab jenem Moment wird die französische Atombehörde CEA ihre Kontrolle übernehmen. Die weniger radioaktiv belastete Außenhaut der U-Boote wird getrennt behandelt: Gegenwärtig klingt sie auf dem Gelände der DCA in Cherbourg ab. Später übergeht sie an die Behörde für radioaktive Abfälle (Andra), die auch für die Entsorgung der AKWs der französischen Elektrizitätsgesellschaft EDF sorgt.
Doch mit der Verschrottung der großen Vier hat sich der seegestützte Teil der „Force de Frappe“ keineswegs erledigt. Im Gegenteil: Die Dreifaltigkeit der französischen Militärdoktrin zu Lande, zur See und in der Luft gilt weiter. Auf den Weltmeeren sind heute zehn atombetriebene U-Boote aus Frankreich unterwegs. Zwei stammen noch aus der ersten Generation des Typs SNLE. Vier sind „Angriffsboote“ des Typs SNA. Und zwei gehören zu der neuen Generation von SNLE-U-Booten. Zwei weitere befinden sich gegenwärtig im Bau bzw. in der Planung.
In den letzten drei Jahrzehnten des Kalten Kriegs, als vor allem die Sowjetunion und die USA zahlreiche teils schwere und nie vollständig aufgeklärte „Unfälle“ mit ihren nuklear betriebenen U-Booten erlitten, hatte Frankreich – zumindest nach öffentlich zugänglichen Informationen – keine Atom-U-Boot-Verluste zu beklagen.
Katastrophenfrei ist die französische U-Boot-Bilanz trotzdem nicht. Bei den dieselbetriebenen U-Booten hat Frankreich mehrere schwere und bis heute unaufgeklärte Katastrophen zu bieten. Am mysteriösesten ist jene vom 27. Januar 1968, als das französische U-Boot „Minerve“ irgendwo im Mittelmeer versank und seine 52 Matrosen in den Tod riss. Weder das Wrack der „Minerve“ noch die Matrosen sind je geborgen worden. Über den Unfallhergang gibt es lediglich Spekulationen, die von einem angeblichen „Seebeben“, über einen „feindlichen Angriff“ bis hin zu menschlichem Versagen reichen.
Bis heute offiziell unaufgeklärt ist auch der Untergang der französischen „Eurydice“, die am 4. März 1970 mit 52 Matrosen an Bord im Mittelmeer versank. Auch die Hintergründe von zwei anderen französischen U-Boot-Untergängen – die von den Nazis übernommene „2326“, die 1946 mit 21 Männern im Mittelmeer unterging, und die „Sibylle“, die 1952 mit 46 Mann verschwand, sind bis heute nicht restlos aufgeklärt worden.
Von Transparenz im Umgang mit der U-Boot-Flotte kann in Paris genauso wenig die Rede sein wie in Moskau. Für die Schnüffler und Waffenträger in den Weltmeeren gilt die allerhöchste Geheimhaltungsstufe. In Frankreich gibt es dafür einen alten Spitznamen, mit dem die gesamte Armee gemeint ist: „La grande muette“ – das große Schweigen.
DOROTHEA HAHN
GEHEIMNISKRÄMEREI IN GROSSBRITANNIEN
50 Mal Radioaktivität ausgetreten
BERLIN taz ■ Großbritannien als Brudernation der USA sendet mit vergleichbarer Technik Atom-U-Boote in die Weltmeere. Elf sind bereits wieder außer Dienst gestellt. 12 Jagdboote mit 85 und 83 Meter Länge suchen unter Wasser nach feindlichen Schiffen, vier 150-Meter-Kolosse der Vanguard-Klasse tragen die Trident-Interkontinentalraketen zur Abschreckung. Auch die Briten beherrschen die sehr kompakt gebauten DruckwasSerreaktoren ihrer Atomflotte nicht immer – wenn auch noch keines gesunken sein soll. Auch hier nur spärliche Fakten.
Der letzte bekannte Zwischenfall betraf das Jagd-U-Boot HMS Trenchant. Vor Lissabon trat am 10. Oktober Radioaktivität aus. Die Besatzung wurde nach ersten Angaben evakuiert. Später hieß es, sie sei ohnehin auf Landgang gewesen. Die portugiesischen Behörden waren trotzdem etwas verschnupft, weil sie erst am 12. Oktober davon erfuhren – durch ein lokales Radio. Im November 1997 kam die HMS Turbulent mit letzter Kraft in den Heimathafen Devonport bei Plymouth. Die 130 Besatzungsmitglieder und die Werftarbeiter wurden auf Verstrahlung getestet. 1998 gab das britische Verteidigungsministerium nach einer Parlamentsanfrage zu, dass seit 1980 in 50 Fällen „unabsichtlich“ Radioaktivität in den Marinehäfen freiwurde, meist Kühlwasser aus U-Boot-Reaktoren.
Angesichts atom- und militärkritischer Teile der britischen Öffentlichkeit drängt die Royal Navy vor allem das Problem der Entsorgung ihrer Atom-Nautilusse. Derzeit lagern sie im Stützpunkt Devonport Naval Base und in der Werft Rosyth Royal Dockyard. Die Brennstäbe sind aus den Reaktoren entfernt, genauso ein Großteil der Ausrüstung des Schiffes. Die gebrauchten und strahlenden Reaktorkerne werden nach Sellafield verfrachtet. Radioaktiver Müll stapelt sich in den U-Boot-Häfen unter Zeltbahnen und in gebrauchten Behältern aus kommerziellen Atomreaktoren, berichtet die Initiative Dump Information Group aus Plymouth (http://members.aol.com/pdig/index.htm).
Ein Endlager unter der Erde ist nicht in Sicht. Und im Jahr 2012 sind so viele U-Boote außer Dienst gestellt, dass die Marinekaimauern keinen Platz mehr haben, gab das Verteidigungsministerium im Mai 2000 zu. Die militärische Obrigkeit stört die Zwickmühle angeblich nicht: „Die schwimmende Lagerung ist sicher und zeitlich nicht begrenzt“, meinte schon 1998 der damalige Verteidigungsminster, George Robertson.
REINER METZGER
VERSCHWIEGENHEIT IN DEN USA
Kollisionen, Feuer, Flutungen
WASHINGTON taz ■ Das erste nukleare U-Boot bauten die Vereinigten Staaten 1954. Es war die sagenumwobene Nautilus, das erste U-Boot, das den Eispanzer am Nordpol unterquerte. Heute ist es ausgemustert und der Öffentlichkeit zugänglich. Es ist die Hauptattraktion des „Historic Ship Nautilus & Submarine Force Museum“ im US-Marinestützpunkt Groton, Connecticut. Nicht alle atomgetriebenen amerikanischen U-Boote haben ein so würdiges Ende gefunden.
Am 10. April 1963 sank das nukleargetriebene U-Boot USS Thresher etwa 220 Meilen östlich von Cape Cod. 129 Menschen kamen dabei zu Tode, darunter 17 zivile Beobachter. Das Schiff liegt mit seinem Reaktor bis heute in circa 3.000 Meter Tiefe. Und am 27. Mai 1968 sank die USS Scorpion 400 Meilen südwestlich der Azoren in mehr als 3.000 Meter Tiefe. 99 Menschen kamen dabei um, und bis heute liegen der Reaktor sowie zwei Atomtorpedos auf dem Grund des Meeres.
Nach dem Verlust der Thresher entwickelte die Navy ein Rettungs-U-Boot, von dessen Prototyp aber nur zwei Exemplare gebaut wurden. Bis zur Thresher-Katastrophe hätten auch die Amerikaner nicht viel anders machen können als die Russen in der Barentssee, und mit dem DSRV genannten Rettungs-U-Boot hätte die US-Marine die Kursk auch nicht retten können, so Sherry Sontag, Koautorin des Buchs „Blind Man’s Bluff“ über Amerikas U-Boot-Spionage, im Wall Street Journal.
Mit ihren Unfallzahlen betreibt auch die US-Marine Geheimniskrämerei. Eine Tabelle der Jahre 1983 bis 1987 in den so genannten „Neptun Papers No. 3“ von William Arkin und Joshua Handler präsentiert ein Horrorszenario von Unfällen bei der „Submarine Force“: 12 Mal liefen U-Boote auf Grund, 50 Mal kam es zu Kollisionen, 113 Mal brach Feuer an Bord aus, es kam zu 48 Flutungen, und die Statistik weist zusätzlich 31 Selbstmorde aus. Die Geheimhaltung der Navy macht es unmöglich, zwischen Unfällen, bei denen die Reaktoren beschädigt wurden, und anderen zu unterscheiden.
Seit 1989 hat die US Navy 100 Atom-U-Boote mit je einem und 11 Kreuzer mit je zwei Reaktoren außer Dienst genommen. Außerdem betreibt sie neun Flugzeugträger, von denen einer acht Reaktoren und alle anderen zwei haben. Hinzu kommen 74 Atom-U-Boote mit je einem Reaktor.
Die ausrangierten Atomschiffe werden in Bremerton im Bundesstaat Washington zersägt. Zur Zeit schwimmen etliche der Ausgemusterten im Wasser, weil die Crews mit dem Demontieren nicht nachkommen. Die Reaktoren werden ebenfalls zersägt, den Columbia River flussaufwärts nach Hanford verschifft und auf Amerikas größte und gefährlichste nukleare Schrotthalde geworfen.
Die Brennstäbe aber werden nach Arco im Bundesstaat Idaho gebracht, wo die Reaktoren für Schiffe in den 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden. Arco liegt auf einem Wüstenhochplateau in gut 1.600 Meter Höhe und in einem seismisch aktiven Gebiet, das zu allem Überfluss auch noch unmittelbar über der zweitgrößten Unterwasserader Amerikas, dem „Snake River Aquifer“, sitzt. Arco ist die größte Lagerstätte für plutoniumverseuchten Atommüll in der westlichen Hemisphäre.
PETER TAUTFEST
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