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VERSTEINERUNG

■ „Hommage an den Prager Frühling“ von Elsbeth Zylla und Isabella Mamatis gelesen

„Auf dem Schulweg schmierten wir an die Wände: 'Der Präsident ist ein Schwein‘ und lachten dabei vor Erregung.“ Während Isabella Mamatis diese Beschreibung von Irena Brezna aus dem Frühling 1986 in Bratislava liest, läßt Elsbeth Zylla Seifenblasen aufsteigen. Kurz blitzt eine jugendliche, beinahe noch kindliche Revolte gegen patriarchale Autorität auf. Eine aufgekratzte, respektlose, zu Lachexplosionen geneigte Stimmung. Doch schon wenige Bilder später wird, wieder in einem Text von Brezna, ein Streit zwischen Mutter und Sohn auf unvorhersehbare Weise abgeblockt. „Was für Russen, mitten in der Nacht?“ blafft die Mutter ihren Sohn an, die blödeste Vertuschung einer Frauengeschichte, die sie je gehört hat, vermutend. Aber „Vor unserem elfstöckigen Neubau bei der Ausfahrt von Bratislava standen sowjetische Panzer.“ Sie brechen in die Texte ein wie ein Deus ex machina. Die Realität nimmt das Gesicht eines surrealen Bühnenbildes an; von der immer noch andauernden Fortsetzung dieses Spielplans erzählen die Texte slowakischer und tschechischer Autoren, die Veronika Ambros und Elsbeth Zylla für ihre literarische Collage über den „Prager Frühling“ zusammengestellt haben, zum Teil aus ersten Übersetzungen und noch nicht veröffentlichten Manuskripten.

In dieser Lesung stellen sie die Schriftsteller als repräsentative Teilhaber an den gesellschaftlichen Prozessen in den Mittelpunkt. Sie versuchen keine Analyse der sozialen, politischen oder ökonomischen Faktoren, die die Reformbewegung und ihre Unterdrückung bewirkten, aus den Texten zusammenzustoppeln und stützen sich dabei auf den Widerwillen Ludvik Vaculiks, das eigene Leben als Stoff historischer Abhandlungen vorgesetzt zu bekommen: „Jedesmal nehme ich auch ein bißchen Anstoß daran, wie sie alles zu bewerten verstehen, was für sachliche und ach so weise Analysen und Dokumente sie schon vorzuweisen haben, die Historiker. Ich finde das unverfroren und gefühllos: Wir, die noch Lebenden, kriechen in unserem erst verglimmenden Troja herum, und sie zerwühlen über uns schon ihr Hissarlik.“

„Sie werden ihre Existenz immer bescheidener hinnehmen und ihr Leben innerlich zu einem härteren Kiesel komprimieren“, faßt Vaculik die Zukunftsperspektiven seiner Söhne ins Auge. Um diesen Prozeß der Isolation und Versteinerung, des Nicht -einlösen-könnens einer moralischen Verantwortung, um die Probleme der Emigration, Verlust von Heimat und Sprache, kreisen die meisten Textpartikel. Sie zeichnen in wenigen Sätzen die inneren Landschaften der Menschen nach, die in der Emigration oder in der isolierten Existenz der Gebliebenen ihr eigenes Zentrum zerbröseln fühlen. Das Bild einer bedrückenden, lastenden Stimmung, die sich seit 20 Jahren fortsetzt, wiegt schwerer als die kurzen Momente der Rebellion.

So wird die Lesung eingerahmt von zwei dunklen Visionen. Im ersten Text (von 1979) beschreibt Vaculik einen Alptraum: die Sprengung einer Stadt durch Ermittlungsbeamte im Kostüm des heiligen Wenzel. Schrecklich ist für den Schriftsteller vor allem die Erkenntnis, daß in seinem Traum seine eigenen Ängste zum Motor der Zerstörung werden. Im Gegensatz zu diesem Autor, der schon auf den Schriftstellerkongressen der sechziger Jahre einen zentralen Platz einnahm, stammt der letzte Text der Lesung von einer Autorin, die, 1960 geboren, die Prager Ereignisse in ihrer Kindheit erlebte. Zuzana Brabcova versucht, ihre Existenz aus der konkreten Geschichte herauszulösen und ihren Sinn in einer überzeitlichen Dimension zu fassen. Melancholisch entfernt sie sich in eine Welt rätselhafter Bilder: „Bald nach der Empfängnis, inmitten des Fruchtwassers, erlebte ich etwas, das man ohne Übertreibung das Erahnen der Welt nennen kann. Und tatsächlich: Kurz vor der Geburt wußte ich mit Sicherheit, wie das Licht, die Dunkelheit, der atomare Sprengkopf oder die Bevölkerungsstatistik nach dem Zweiten Weltkrieg aussehen... Auch ohne ihre unwissenschaftlichen Prognosen (der Parzen, d. Verf.) war es mehr als deutlich, daß, wenn ich aus dem Wasser entstanden bin, ins Wasser zurückkehren werde, in dieser bewundernswerten, vergitterten Muschel, in die ich, Herr Lehrer, von den anderen wie eine Perle hineingesetzt wurde.“ (Aus „Weit vom Baum“, Köln 1987)

KBM

Am 23. und 24. Juni lesen Elsbeth Zylla und Isabella Mamatis die „Hommage an den Prager Frühling“ um 20 Uhr im Theater zum westlichen Stadthirschen.

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