Urteil zur Mandatsverteilung erwartet: Kieler Koalition wackelt
Am Montag entscheidet das Verfassungsgericht Schleswig-Holsteins, ob die Mandate im Landtag korrekt verteilt wurden. In Kiel rechnen viele mit vorgezogenen Neuwahlen.
KIEL taz | An Montag um 12 Uhr könnte Bernhard Flor, Präsident des Schleswig-Holsteinischen Verfassungsgerichts, dem Bundesland einen neuen Wahlkampf bescheren. Dieses Szenario wird in Kiel zurzeit als wahrscheinlich angenommen. Seit Juni befasst sich das Gericht mit der Frage, ob Landtagssitze und Überhangmandate nach der Wahl im vergangenen Herbst korrekt verteilt wurden. Vor einer Woche berichtete die Zeitung Schleswig-Holstein am Sonntag, die Richter hielten das Wahlrecht für nicht verfassungsgemäß. Seither wird über vorgezogene Neuwahlen spekuliert - im Gespräch ist ein Termin bis Ende 2012.
Schon jetzt regiert Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag. Auf 48 Abgeordnete bringen es CDU und die Koalitionspartnerin FDP, die übrigen Parteien - SPD, Bündnis-Grüne, Linke und die Partei der dänischen Minderheit, SSW - besetzen 47 Sitze. Nach der Wahl hatte Schwarz-Gelb zunächst drei Stimmen mehr gehabt. Eine Nachzählung ergab, dass in einem Wahlkreis einige Wahlzettel nicht mitgerechnet wurden. In der Folge wanderte ein Mandat von der FDP zur Linkspartei.
Der Grund, aus dem Grüne und SSW Normenkontrollklage gegen das Wahlergebnis einreichten, ist jedoch eine grundsätzliche Kritik am Landeswahlgesetz, das zu einem aufgeblähten Parlament führte: 69 Abgeordnete sollen im Kieler Landtag sitzen, 95 sind es. Schuld sind die Überhangmandate, die vor allem der CDU zufielen. Bei anderer Auslegung des Gesetzes müssten sogar 101 Stühle im Landtag stehen - die Mehrheit auf Seiten der Opposition. SPD, Grüne, Linke und SSW haben gemeinsam 27.000 Zweitstimmen mehr erhalten als CDU und FDP.
Falls es tatsächlich zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, ist fraglich, ob Carstensen erneut antritt, er könnte dem heutigen Vorsitzenden der Landtagsfraktion, Christian von Boetticher, die Kandidatur überlassen. Sein Gegner wäre mit großer Wahrscheinlichkeit der SPD-Landes- und Fraktionschef Ralf Stegner.
Unklar ist, ob die schwarz-gelbe Regierung angesichts der kurzen Rest-Amtszeit ihren harten Sparkurs durchhält: Im Herbst entscheidet der Landtag über den Haushalt der kommenden zwei Jahre, der diesen Sparkurs einleiten sollte.
Grundsätzlich könnte das Gericht am Montag die Regierung auch sofort beenden, indem es die Ein-Stimmen-Mehrheit für nichtig erklärt. Dies scheint aber wenig wahrscheinlich, allein deshalb, weil das Parlament Zeit braucht, ein verfassungsgemäßes Wahlrecht zu beschließen und die Wahlkreise neu zuzuschneiden. Grüne- und Linkenpolitiker fordern aber, den Wahltermin so schnell wie möglich, schon 2011, anzuberaumen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen