Urteil wegen übler Nachrede: Wenn das der Führer wüsste
Weil er einen Abgeordneten der "Bürger in Wut“ politisch „rechts“ verortete, wurde ein Bremer wegen übler Nachrede verurteilt - mit abenteuerlicher Begründung.
BREMEN taz | „Nicht nachvollziehbar“ ist für Anwalt Alexander Jung die schriftliche Begründung für das Urteil gegen seinen Mandanten Jörg Hermening, die am 20. April eingetroffen ist. Der war Anfang des Monats vom Amtsgericht Bremen wegen übler Nachrede zu 1.500 Euro Geldstrafe verurteilt worden, weil er den BIW-Abgeordneten Mark Runge als „Rechten“ bezeichnet hatte. Auch die Landeszentrale für Politische Bildung (LZPB) hält die Urteilsbegründung für bedenklich.
In der nämlich heißt es, dass „eine Bezeichnung einer Person als ’rechts‘ gemeinhin dahin verstanden (werde), dass es sich dabei um Anhänger des Nationalsozialismus handelt“. Runge aber sei „eben gerade nicht Anhänger des Nationalsozialismus“, sondern „Mitglied einer vom Rechtssystem geschützten politischen Partei“. Hermening hat über den Bürgerschaftskandidaten der rechtspopulistischen „Bürger in Wut“ (BIW) freilich nie behauptet, er sei Anhänger des Nationalsozialismus.
Hermening hatte sich in der Facebook-Gruppe „Ein Zuhause in Bremen nicht nur für ausgewählte Flüchtlinge“, die er als Reaktion auf rassistische Töne in der Bürgerinitiative „Rekumer Straße 12. Nicht mit uns“ gegründet hat, durchaus derbe über unerwünschte Neumitglieder seiner Gruppe geäußert: „Da weiß man nicht, ob es sich um ’Doppelagenten‘ handelt (...) Rechte Schweine, die sich bei den Pro-Gruppen erkundigen wollen? Solche Anfragen hatte ich schon mehrere, einige Rechte sind ja sofort zu identifizieren gewesen, Mark Runge und so. Hab keinen Bock mehr drauf, hier verkappte rassistische Sprüche zu löschen“, schrieb er – und wurde von Runge angezeigt. Allerdings nicht, weil der das „Schwein“ auf sich bezog, sondern wegen der politischen Verortung nach rechts.
Im Gesamtkontext ein "rechtes Schwein"
Das Gericht gab ihm Recht. Wenngleich Richter Sebastian Warzecha-Köhler befand, dass Runge „nicht nur als ’Rechter‘ bezeichnet wurde, sondern im Gesamtkontext gelesen als ’rechtes Schwein‘“, heißt es in seiner Begründung weiter: „Ferner wäre auch die alleinige Behauptung, der Zeuge Runge sei ein ’Rechter‘ geeignet, diesen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen und verächtlich zu machen.“
„Politikwissenschaftlich ist der Begriff ’rechts‘ weder positiv noch negativ, sondern eine Einordnung“, sagt Sebastian Ellinghaus, stellvertretender Leiter der LZPB Bremen. „Lediglich im alltäglichen Sprachgebrauch ist er mittlerweile negativ konnotiert.“ Rechtsextrem bedeute, jemand bewege sich nicht mehr auf dem Boden der Verfassung „und Rechtsradikal bedeutet politikwissenschaftlich eine tief verwurzelte, rechte Haltung, die aber nicht verfassungsfeindlich ist“. Aber auch dieser Begriff werde im Alltag anders verwendet und verstanden.
„Rechts“ und „nationalsozialistisch“ gleichzusetzen, ist für Ellinghaus „falsch und ahistorisch, denn der Nationalsozialismus war sozialrevolutionär – das, was bürgerlich-rechts war, wurde von den Nazis weggefegt“. Die Begrifflichkeiten würden heute oft nicht mehr korrekt verwendet, „aber das bedeutet nicht, dass Nazis und Rechte gleichzusetzen sind. Wir wollen Politisierung und setzen auf den Dialog – das wird schwierig, wenn Begriffe wie rechts oder links plötzlich inkriminiert werden.“
Zuspitzen muss gestattet sein
Für Alexander Jung ist das Urteil juristisch fehlerhaft, „aber das eigentliche Problem ist doch die Behauptung, Rechte seien Anhänger des Nationalsozialismus – das darf so nicht stehenbleiben“. Für ihn hat Hermening nichts weiter getan, „als jemanden einer Position auf dem politischen Spektrum zuzuordnen“. Aber auch Zuspitzungen müssten gestattet sein: „Kaum vorstellbar, welchen Schaden der demokratische politische Diskurs nimmt, wenn solch ein Urteil Schule macht.“ Das will er verhindern: Noch vor der schriftlichen Begründung hat er Berufung gegen das Urteil eingelegt.
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