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Urteil im Breivik-ProzessWie lang ist „ewig“?

Als 55-jähriger könnte der rechtsextreme Massenmörder Anders Breivik wieder frei sein – vielleicht auch früher. Denn lebenlängliche Haft gibt es in Norwegen nicht.

Breiviks Zelle. Bild: dpa

STOCKHOLM taz | Drei Zellen zu je 8 Quadratmetern. Eine Wohn-, eine Arbeits- und eine Trainingszelle. Keinerlei Kontakt mit anderen Insassen, jegliche Kommunikation nach draußen wird überwacht, gegebenenfalls zensiert oder verboten. Das sind die Haftbedingungen, die Anders Breivik im Hochsicherheitstrakt der „Ila-Gefängnis- und Verwahranstalt“ erwarten.

Geht es nach der Mehrheit der Norweger, wird der gefährlichste Häftling des Landes dort ewig bleiben. Das ist eine Einschätzung, die querbeet durch alle politischen Parteien vertreten und eine Hoffnung, die viele Opferangehörige und Überlebende äußerten.

„Für immer wegschließen“, fordert beispielsweise Claude Perreau. Zwei seiner Söhne waren auf Utøya. Nur der Jüngste kam wieder nach Hause. Er sei „sicher“, dass Breivik nie mehr frei kommen werde, meint Jan Bøhler, Justizpolitiker der regierenden Sozialdemokraten.

Doch Lebenslänglich kennt das norwegische Strafrecht seit 30 Jahren nicht mehr. Laut Paragraph 43 des „Straffeloven“ „soll gewöhnlich“ die Höchststrafe nicht 15 Jahre und „darf“ sie nicht 21 Jahre übersteigen. Nach Ablauf dieser Zeit kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Verlängerung um bis zu fünf weitere Jahre beschließen.

Eine gesetzliche Obergrenze für die Anzahl solcher Verlängerungen gibt es nicht. Andererseits ist aber laut Paragraph 44 auch eine „Freilassung auf Probe“ ab 10-jähriger Haftverbüssung möglich, falls der Verurteilte voraussichtlich keine Gefahr für die Gesellschaft mehr darstellt.

„Man kann nicht wünschen, dass er ewig eingesperrt bleibt“

Politiker sollten sich nicht die Rolle von „Berichtern“ anmaßen, sagt der politisch bei der Roten Wahlallianz aktive Osloer Rechtsanwalt Harald Stabell: „Wollen sie die Strafe wieder einführen, sollen sie das sagen.“ Sein Kollege Tor Erling Staff stimmt dieser Kritik zu: „Politiker versprechen etwas, das sie nicht halten können.“ Keiner von ihnen werde wohl noch in einem poltischen Amt sein, wenn es soweit ist, dass ein Gericht zu entscheiden hat, ob Anders Behring Breivik wieder auf freien Fuss kommt.

Darauf sollte sich Norwegen einstellen, meint sein Verteidiger Geir Lippestad. Wie wolle man eine gesellschaftliche Gefährdung begründen, würde dieser sich konsequent von seiner jetzigen ideologischen Gedankenwelt distanzieren?

„Man kann nicht wünschen, dass er ewig eingesperrt bleibt“, sagt auch Kriminologieprofesser Nils Christie: „Dass es für jede Tat eine Art von Vergebung geben muss, entspricht jedenfalls meinen grundlegenden Werten.“ Auch wenn ihn „jetzt alle hassen“, werde die norwegische Gesellschaft es schaffen, ihn wieder in ihre Gemeinschaft aufzunehmen und „froh darüber“ sein: „Es wird fürchterlich für ihn, wenn er einsieht, was er gemacht hat.“

Warum Breivik wieder eingliedern, fragt dagegen Perreau: „Die Gesellschaft hat davon nichts zu gewinnen.“

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8 Kommentare

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  • S
    schwarzrot

    macht euch keine sorgen, jemand wird sich um ihn kümmern...

  • MM
    Mama Mia

    Immerhin konnten die Angehörigen die Opfer begraben ohne sich einen Brocken verbranntes Fleisch aussuchen zu müssen wie beim Massenmord in Kunduz und wissen den Verantwortlichen bestraft.

  • N
    nsuon

    Ob Norwegen der Herausforderung Breivik gewachsen

    ist, zeigt nicht das Urteil, sondern die Zeit danach.

    Wird er wirklich weggesperrt und zwar für immer?

    Ist er dann auch unschädlich, oder kann er eines

    Jahres Interviews geben? Breivik-Relativierer

    wie Nils Christie lassen schlimmeres befürchten.

    Was Breivik getan hat, wie er es tat und das er

    nichts bereut und es erneut tun würde, daran gibt

    es nichts zu relativieren. Es kann nur noch um

    den Schutz der Menschen vor ihm gehen und nicht

    mehr um ihn. Das beste wäre sein baldiger Tod.

  • H
    Huppert

    Die Wurde des Menschen ist unantastbar, so stehts im Grundgesetz. Der Massenmörder aus Norwegen, seinen Namen mönche ich nie aussprechen oder ausschreiben, kann im Prinzip nur durch eine Kombination von Strafen verurteilt werden, dazu gehört meines Erachtens die höchste Strafe fuer einem Mann, die Kastration dazu. Wohl wissend,dass das Grundgesetz dies nicht zulässt oder die ethischen Grundsätze zivilisierter Gemeinschaften eien solchen Eingriff verbieten. Dennoch, solch ein Mann, der andere tötet, weil er das so will, der dürfte nach meiner Auffassung nie mehr Kinder zeugen dürfen. So viele, denen er das Leben willkürlich genommen hat rechtfertigt in meinen Augen die Kastration!

  • S
    stimmviech

    Nehmen wir mal an, Breivik heuchelt gegenüber den Knastpsychologen Besserung, wird nach gut 10 Jahren entlassen- und schließt sich dann den Muslimen an, begeht aus muslimischer Motivation neue Mode: die zu liberale Gesellschaft bekäme dann, was sie selber, ohne über die Konsequenzen nachzudenken, geschaffen hat.

  • V
    viccy

    @ emil

    Och, ich brauch den Herrn nciht in meiner Nachbarschaft, da verzichte ich auch gerne auf das Etikett "ein wenig progressiv".

     

    Davon abgesehen ist der natürlich total durchgeknallt, völlig empathiebefreit und schwerstgestört. Nur weil er seine Waffen sortieren und sich ordentlich anziehen konnte, ist er nicht weniger gestört.

  • T
    tommy

    Norwegen scheint ja wirklich ein bißchen zu liberal sein - man sollte besser hoffen, dass Breivik (der ja angesichts der Komplexität seiner Taten ziemlich intelligent sein muss) es nicht schafft, sich zu verstellen, überzeugend Besserung vorzuspielen und dann für neue Taten auf freien Fuß gesetzt zu werden...

    Aber das ist eben die logische Konsequenz eines Rechtssystems, dessen Einrichtung nicht zuletzt von linker und liberaler Seite betrieben wurde. Aber vielleicht können die Linken das ja noch korrigieren und ein "Feindstrafrecht" für Nazis (aber nur für die) einführen.

  • E
    emil

    die gesellschaft kann sehr wohl etwas gewinnen, nämlich die aufgeklärtheit eines rechtstaates.

    wenn hingegen alle um breivik herumhopsen und hexenjagdähnlich auf ihne deuten, so hat das allenfalls den unterhaltungswert, wie wenn till schweiger sexualstraftätern nachjagt.

    es ist nachvollziehbar, dasssolche untaten die emotionen hochkochen lassen, dennoch dürfen daraus keine illegitimen handlungen entstehen, so man sich als ein wenig progressiv begreifen möchte.