Das Portrait
: Urteil gegen Italiens 68er-Führer

■ Adriano Sofri

Ganz in seiner typischen Haltung gegenüber Behörden nimmt er das Urteil entgegen, das ihn für 22 Jahre hinter Gitter bringen soll: Er sei bereit, sagt Adriano Sofri verachtungsvoll, die Bücher fürs Gefängnis habe er schon eingepackt.

Sofri, 50, einer der charismatischsten Führer der 68er Bewegung und der Arbeiter- und Studentenorganisation Lotta Continua, ist für die italienische Justiz zusammen mit seinen Exgenossen Ovidio Bompressi, Giorgio Pietrostefano und Leonardi Marino verantwortlich für die Ermordung des Polizeikommissars Luigi Calabresi 1972 auf offener Straße: Sofri habe den Auftrag gegeben, Marino das Tatfahrzeug gesteuert, Bompressi geschossen. Ins Rollen gebracht hatte Marino den Prozeß mit einer Selbstanzeige 1988.

Sofri war in den 80er Jahren zu einem der angesehensten Politjournalisten geworden; trotz der mehrmaligen Verurteilung in unteren Instanzen hat er bis heute in den größten Medien ständige Rubriken, etwa im Corriere della sera und in Panorama. In den 90er Jahren schrieb er über den Balkankrieg – und gehörte dabei zu den entschiedensten Verfechtern eines militärischen Eingreifens in Bosnien.

Seine ehemaligen Genossen marschierten 1988 zu Hunderten zum Staatsanwalt und zeigten sich selbst an, weil auch sie wie Sofri damals den Mord am Kommissar Calabresi mit gewisser Genugtuung zur Kenntnis genommen hatten. Der Mann galt als verantwortlich für den Tod eines Anarchisten, den Calabresi nach dem – wie sich später erwies, rechtsterroristischen – Anschlag auf die Mailänder Landwirtschaftsbank verhaftet hatte.

Sofri hatte die Oberflächlichkeit, mit der man damals den Mord hinnahm, zugegeben, jedoch stets bestritten, den Auftrag dazu erteilt zu haben. Nach seiner ersten Verurteilung hatte er sich geweigert, sich weiter zu verteidigen, und so die Justiz vor das Problem gestellt, ob seine Verurteilung schon damals rechtskräftig war oder erst sein würde, wenn die Revisionen der anderen Angeklagten beschieden sind; schließlich setzte sich letztere Auffassung durch. Nur zu allerletzt hat Sofri noch einmal eingegriffen und zu beweisen gesucht, daß zumindest bei einem seiner Prozesse Druck in Richtung Verurteilung ausgeübt worden sei. Doch das hat den Gerichtshof nicht mehr beeindruckt. Werner Raith