Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes: Keine Adoption aus islamischen Ländern
Weil es in Marokko aus religiösen Gründen keine Adoption gibt, darf ein 12-jähriger Junge nicht zur Adoption nach Deutschland einreisen. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht.
LEIPZIG taz | Die Adoption von Kindern aus Ländern mit islamisch geprägtem Rechtssystem ist kaum möglich. Wie jetzt das Bundesverwaltungsgericht entschied, haben entsprechende Kinder derzeit gar keine Chance legal nach Deutschland einzureisen.
Geklagt hatte eine 48-jährige Münchenerin. Sie ist deutsche Staatsangehörige, aber gebürtige Marokkanerin; ihre Familie lebt noch in Marokko. Über ihre Schwester, eine Lehrerin, bekam die Frau Kontakt zu einem Jungen, der in einem Waisenhaus in Casablanca lebt. Schon seit sechs Jahren versucht sie den Jungen zu adoptieren, was aber bisher an den deutschen Behörden scheitert, die mit den Besonderheiten des islamischen Rechts nicht zurecht kommen.
"In Marokko gibt es nämlich keine Adoptionen", erklärt die Berliner Anwältin Oda Jentsch, die den Fall übernommen hat, "weil der Koran eine Verdrängung der leiblichen Eltern verbietet". Möglich ist aber die Kafala, eine Art Pflegschaft, die nur bis zur Volljährigkeit besteht und auch keine erbrechtlichen Folgen hat.
Schon 2005 hat die Münchenerin in Marokko die Kafala für den Jungen erhalten. Das Familiengericht Casablanca hat auch die Ausreise nach Deutschland gestattet. Was fehlt ist ein Visum der deutschen Botschaft, das bis heute verweigert wird. Der Junge kann also nicht nach Deutschland einreisen, um hier ein Adoptionsverfahren durchzuführen.
Diese harte Linie des Auswärtigen Amts hat nun das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig voll bestätigt. Ein Visum für eine Auslandsadoption könne nur erteilt werden, wenn ein ordentliches Adoptionsvermittlungsverfahren durchgeführt wurde. Das aber sei mit Marokko nicht möglich, weil es dort keine Adoptionen gebe. Also gebe es auch keine Adoptionsbehörde, die im Auftrag der deutschen Behörden, prüfen können, ob das Kind für die Adoption geeignet ist. Und weil das ganze Verfahren dem Kindeswohl diene, könne es auch keine Ausnahme geben, so die Argumentation der Leipziger Richter.
"Da war überhaupt kein Interesse, eine pragmatische Lösung zu suchen", kritisiert Anwältin Jentsch. Sie geht davon aus, dass es hunderte vergleichbarer Fälle gibt, denen ebenfalls ein Visum verweigert wird. Auch Länder wie Tunesien, Algerien oder Afghanistan kennen aus religiösen Gründen keine Adoption.
Bisher war eine Einreise solcher Kinder nur möglich, wenn man mit den Behörden gekungelt hat oder das Kind über Kontakte in einem anderen EU-Staat nach Deutschland lotste. "Ein sauberer und einfacher Weg steht nicht zur Verfügung", kritisiert Oda Jentsch, die nun eine Verfassungsbeschwerde prüft.
Möglicherweise wird sich die Situation verbessern, wenn zum Jahreswechsel das Haager Kinderschutzabkommen in Deutschland in Kraft tritt. Dann können deutsche Behörden am Kafala-Verfahren mitarbeiten und marokkanische Kafala-Entscheidungen in Deutschland anerkannt werden. Ob es dann aber auch ein Visum für den Waisenjungen aus Casablanca gibt, kann heute noch niemand sagen.
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