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Urteil aus StraßburgKruzifix verletzt kein Grundrecht

Kruzifixe in Klassenzimmern verletzen keine Grundrechte, urteilte der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Es gibt damit Italiens Regierung Recht.

Kein Problem für die Menschenrechte. Bild: dpa

FREIBURG taz | Das Gericht wollte sich nicht mit halb Europa anlegen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verbietet Italien nun doch nicht, Kruzifixe in staatlichen Schulräumen aufzuhängen. Die 17-köpfige große Kammer des Gerichtshofs korrigierte damit ein Urteil der nur siebenköpfigen EGMR-Kammer aus dem November 2009.

Klägerin war die aus Finnland stammende italienische Mutter Soile Lautsi. Sie verlangte 2001, dass in den Schulräumen ihrer zwei Söhne, damals 11 und 13 Jahre alt, die Kruzifixe abgenommen werden. Doch die Aufforderung fand kein Gehör, weder bei den Schulbehörden noch bei den italienischen Gerichten.

Erst beim EGMR hatte sie im letzten November Erfolg. Der Staat sei im Bereich der öffentlichen Erziehung zu Neutralität verpflichtet, so die Straßburger Richter. Kruzifixe in öffentlichen Schulen verstießen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Doch Italien legte Rechtsmittel ein - und wurde dabei von immerhin zehn weiteren katholisch oder orthodox geprägten Mitgliedstaaten des Europarats unterstützt, darunter Russland und Griechenland.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Obwohl die EGMR-Kammer 2009 noch einstimmig gegen Italien entschieden hatte, wurde dem Land jetzt ein "Beurteilungsspielraum" zugestanden. Das neue Urteil fiel mit 15 zu 2 Richterstimmen. Nunmehr gilt: Jeder der 47 Staaten des Europarats kann selbst entscheiden, wie er seine Erziehungsziele mit den Elternrechten in Einklang bringt, solange die Kinder nicht religiös "indoktriniert" werden. Dabei sei es zulässig, wenn der "Mehrheitsreligion eine dominante Sichtbarkeit in der schulischen Umgebung" eingeräumt werde. Das Kruzifix an der Wand des Klassenzimmers sei nur ein "passives" Symbol, das nicht mit staatlichem Unterricht oder der Teilnahme an religiösen Veranstaltungen verglichen werden könne.

Das Kruzifix sei auch deshalb akzeptabel, weil nichts darauf hinweise, dass sich italienische Schulen gegenüber andersgläubigen oder atheistischen Schülern intolerant verhielten. Schüler könnten mit "religiös konnotierter" Kleidung in die Schule kommen, freiwilliger Religionsunterricht in allen Konfessionen sei möglich.

Auf Deutschland hat das Urteil keine Auswirkungen. Hier hat das Bundesverfassungsgericht schon 1995 entschieden, dass der Staat Kinder nicht verpflichten kann, "unter dem Kreuz" zu lernen. Das war vor allem in Bayern umstritten, wo bis heute Kruzifixe in den Klassenzimmern von Grund- und Hauptschulen hängen. Eltern können allerdings verlangen, dass sie abgenommen werden.

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16 Kommentare

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  • W
    wow

    Oh, wie sich da wieder der Rassismus deutscher Linksliberaler in der Taz Bahn bricht. Die bösen Moslems machen also den Christen das Leben schwer weil ihre KInder in der Schule aufgrund christlicher Dominanz oder Berücksichtigung beim Essen nicht diskriminiert werden sollen? Naja, wer sich ein Leben, nein eine einzige Mahlzeit, ohne Fleisch nichtmal vorstellen kann hat mit linken Werten eh nicht so viel am Hut. Wie wärs mit veganem Essen? Inklusiver gehts nicht, wenn bio ökologischer auch nicht.

     

    Sorry, entweder Kruzifixe in Schulen (und Koranverse, Davidsterne, hinduistische Götterbildchen was weiß ich) und Lehrerinnen mit Kopftuch, oder nichts davon.

    Ich habe zu Schulzeiten die Kruzifixe in den Klassenräumen einfach auf eigene Faust entsorgt. Werde ich meinen Kindern auch raten wenn es sie stören sollte.

  • TS
    Thomas Sch.

    Lieber Franz Beer,

    andersherum wird ein Schuh draus: Es sind ja nicht "wir Christen", die den Moslems das Leben schwermachen, es sind ja umgekehrt die Moslems, die beständig auf Sonderrechte pochen, die so weit gehen, daß sie an die Grenzen unserer Gesetze stoßen. Wie kann es sein, daß wir nach Jahrhunderten der Aufklärung auf einmal auf Druck der Moslems auf einmal wieder eine Geschlechtertrennung einführen sollen ? Daß Schulen bestimmtes Essen nur anbeiten sollen (Wie soll das gehen: Den Hindus ist die Kuh heilig, bei den Moslems Schwein verboten, bei den Juden muß es Koscher sein etc.etc.etc. Was bleibt da für die Kinder übrig ?). Wie kann es ein, daß ein guter Linker auf einmal Gruppen unterstützt, die genau das kaputmachen, wofür die Linke so lange gekämpft hat ? Gleichberechtigung, persönliche Freiheit, Meinungsfreiheit ? Und Sie kommen hier an und tun so, als ob gerade wir diejenigen sind, die was verbrochen haben. Hallo ?

  • S
    Seim

    Wahre Toleranz geht einher mit einem Kreuz im Klassenzimmer. Genau wie ich in der Türkei einen Halbmond auf der Fahne der "laizistischen Republik" toleriere.

     

    @pablo: unser Grundgesetz gründet sich darauf und die 10 Gebote halte ich für sinnvoll.

     

    Gibt genug muslimische Frauen, die in einem christlich geprägten Land ihre Vorteile haben, da sie nicht unter archaischen Strukturen arabischer Zünfte oder der Scharia leben müssen.

     

    Und deswegen muss das auch beibehalten werden.

  • RM
    Reinhard Moysich

    Skandalöses Kruzifix-Urteil.

     

    Es ist für mich ein ungeheuerlicher Skandal, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nun völlig entgegen dem einstimmigen Urteil der ersten Instanz jetzt nach Intervention des italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi in der zweiten Instanz zu einem ganz anderen Urteil gekommen ist. Denn nun wird paradoxerweise die christliche Religion eindeutig bevorzugt, obwohl die Religionsfreiheit unmissverständlich beinhaltet, dass keine Religion bevorzugt werden darf.

     

    Außerdem wird die Grundregel der Menschenrechte, die "Goldene Regel" von Konfuzius, grob missachtet, welche inhaltlich der christlichen Nächstenliebe entspricht, ohne die kein Mensch sich zurecht "Christ" nennen kann: "Was du nicht willst, das man dir antut (hier: dass in staatlichen Klassenzimmern z.B. Koranverse statt Kruzifixe angebracht werden), das füg' auch nicht anderen zu (hier: dass Kruzifixe hängen bleiben)!"

     

    Menschenrechtskonform ist ein Urteil im Weltanschauungsbereich nur dann, wenn es exakt weltanschauungsneutral ist; das heißt, wenn keine der ca. 4000 religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen bevorzugt oder benachteiligt wird.

  • MN
    mein Name ist Hase

    @ Willi:

    Das ist so eine Gutmenschen-verkappte linke Paranoia, die unverständlich bleibt, aber zum Programm gehört:

    Wenn ein muslimischer Schüler einen Gebetsraum bekommt, den er übrigens bei Osiegens der jetzigen Kläger in diesem Fall nicht hätte bekommen dürfen ( ein anderer hätte klagen müssen, dass er dadurch diskriminiert wird bzw. seinen Menschenrechte verletzt werden ), sagen die Gutmenschen:

    Ja, das müsse man tolerieren, wir sind ein tolerantes Land, den Sitten der Einwanderer müsse Rechnung getragen werden, wir sind für Pluralität usw.

     

    Hängt als passives Zeichen an der Wand jedoch ein Kreuz, das ohnehin in den allermeisten Bundesländern längst nicht mehr dort hängt, sofort nach dem der Pluralität in Europa Rechnung tragenden Urteil ''Schande'', ''Zeichen für fehlende Trennung von Staat und Kirche'', ''Zeichen von Intoleranz'', obwohl der EUGH zu nichts dergleichen STellung genommen hat und nur das gemacht hat, was er öfters machen sollte:

    Die Handlungsweise in die Souveränität der demokratisch legitimierten Nationalstaaten legen: Dort muss das entschieden werden.

  • W
    Willi

    @ Hansi u.a.: wenn das Kreuz in den Klassen ein Problem ist, wieso bekommt dann ein muslimischer Jugendlicher per Gericht sogar einen eigenen Gebetsraum in seiner Schule zugesprochen? Usw. Und wo bleibt bei derart Islamfreundlichen Urteilen der Aufschrei vieler Kommentatoren über die Verletzung von Kirche und Staat?

    Sorry, Leute, aber auch wenn wir vielleicht alle (?) nicht christlich sind; soviel Achtung und Respekt und TOLERANZ, wie fremden Kulturen (Islam) gegenüber, sollte man der kulturellen Tradition des EIGENEN Kulturkreises schon entgegenbringen.

  • C
    cwk

    Es gibt keinen Gott, und je früher man sich das klar macht, desto weniger wird man verhaltensgestört.

  • MN
    mein Name ist Hase

    Ich glaube immer noch nicht, dass die meisten Leser den Kern des Urteils erfasst haben:

    Für über 40 europäische Staaten, die sich durch kulturelle Vielfalt auszeichnen, war es unmöglich eine einheitliche Linie zu finden: In Griechenland oder Malta gilt ein Staatskirchentum, in Frankreich eine strikte Trennung von Religion und Staat.

     

    Der Richterspruch besagt:

    1. Durch ein Kreuz an der Wand eines Klassenzimmers werden Menschenrechte nicht verletzt ( Klägerin erhält keine Zahlung des beklagten Landes )

     

    2. Die Zuständigkeit, ob das zB ein Kreuz hängt, liegt bei den Nationalstaaten und aufgrund des deutschen Bildungsföderalismus sicher bei den Bundesländern. Das Gericht hat kein Kreuz im KLassenzimmer bejubelt, sondern aufgrund der Menschenrechtskonvention entschieden.

     

    3. Meiner Ansicht nach hängt das Kreuz- wo es denn überhaupt noch hängt- als passives Zeichen an der Wand, dem sich jeder entziehen kann. Das könnte man zB bei einer Lehrerin mit Burka an staatlichen Schulen nicht.

  • N
    neuhaus

    in italien ist das kruzifix eine historische sache. eine erinnerung an die wurzel des christentums, in der tat sind aber auch andere religionen präsent, kopftücher werden getragen wie auch atheisten zu wort kommen, italien ist auch rom, renaissance, ein kreuzungspunkt handelnder aufklärung ( stafrecht, ökonomie), mutterland eines humanen kommunismus und vieles mehr. ein dolles land. viva italia, viva humanita!!!

     

    bg

  • A
    Archeopteryx

    Bin gespannt, wann hier die ersten Auschwitz-Gleichsetzungen kommen.

  • DH
    Dr.Klaus Heine

    Zu vermissen ist eine gewisse Konstanz, eine Verläß-lichkeit jenseits von Parteien-u.Religionsinter-essen. Halt'eben "Gummi-Gesetze","Flexi-Juristen".

  • H
    Hansi

    Ein skandalöses Urteil welches die gebotene Trennung von Staat und Religion mit Füßen tritt. Auch die Bezugnahme auf die "Mehrheitsreligion" paßt nicht zur Idee der staatlichen Aufgabe des Schutzes gerade von religiösen bzw. nicht-religiösen Minderheiten.

     

    Das Kreuz im Klassenzimmer ist übrigens nicht nur für Atheisten, sondern auch für Juden, Muslime, Hinduisten und selbst die allermeisten Protestanten eine Zumutung.

     

    Man stelle sich vor im einigermaßen säkularen bis atheistischen Berlin hingen verpflichtend Parolen an den Klassenraumwänden: "Es gibt garantiert keinen Gott. Nur Spinner glauben. Sperrt sie endlich alle weg!"

  • FB
    Franz Beer

    Wann wird diese unselige Religionsdebatte endlich beendet.In deren Folge fast alles infrage gestellt wird .Kopftücher, Islamisieung, Kreuze.Ausgrenzung von Minderheiten usw usw.Es wird einfach nur Populistisch Hass,Mißgunst,Ausgrenzung betrieben.Auf allen seiten.Religionskrieg auf kosten von Minderheiten,oder Mehrheiten.Ich bin für eine strenge Trennung von Kirche u Staat aber für die Freiheit das ein jeder seine Religion ausüben kann wie er möchte.Der Islam gehört seit Jahrzehnten zu Deutschland ebenso wie die Christenheit und viele andere Religionen.Und das sollte man Tolerieren und Anerkennen.Ausgrenzen sollte man Hassprediger,Religiöse fundamentalisten ,egl ob Christ oder Islamist,und der Staat hat die Pflicht keinen Nährboden zu schaffen für Ihre verwirrtes Gedankengut.

  • MN
    mein Name ist Hase

    @pablo:

    Das ist doch völlig seicht, das Du hier schreibst.

    In 40 europäischen Ländern ist eben die kulturelle Tradition völlig anders: Das eben zeichnet Europa aus- es gab nie eine einheitlich anerkannte Zentrale.

    Frankreich hat eine strikte Trennung von Staat und Religion. Deutschland eben nicht: Hier arbeitet der Staat mit den Religionen zusammen und sponsert beispielsweise jetzt Islamlehrstühle an den Hochschulen mit Millionen- beiträgen. Diese dürfte es ja dann auch nicht geben.

    In GB singt man: God save the queen- das müsste auch verboten werden.

    In Italien sieht man jede 300 Meter ein christliches Zeichen, ein Bergkreuz, eine Madonna usw- diese Dinge müssten alle, da im öffentlichen Raum stehend und sicher nicht selten auf staatlichem Grund entfernt werden.

    Ach ja, die Großmoschee in Duisburg hätte dann erst gar nicht gebaut werden dürfen. Sicher hätte sich jemand an ihrem Anblick indoktriniert gezeigt.

     

    Wer kulturelle Wurzeln und historische Gegebenheiten völlig ignoriert, der hat nicht nur keine Herkunft, sondern auch keine Zukunft.

  • MB
    Marcel B.

    Die Entscheidung des EGMR ist absolut richtig!

    Das Kreuz ist nicht nur ein religiöses Symbol, sondern auch eines der wertvollsten und prägnantesten Zeichen unserer europäisch-abendländischen Kulturgeschichte.

    Unsere Kultur thront bekanntlich auf den drei Hügeln Akropolis, Kapitol und eben auch Golgotha! Wer das Kreuz aus der Öffentlichkeit entfernt sehen möchte, verleugnet daher seine, unsere Herkunft und erschwert den Prozess des Nachdenkens darüber, wie wir als Europa gestärkt in eine gemeinsame Zukunft gehen können!

  • P
    pablo

    Hier zeigt sich die wahre trennung von Staat und Religion und endet gleich bei allem christlichem.