■ Urdrüs wahre Kolumne: Dominosteine gutt!
Wenn man mich nach dem fiesemiesesten Ereignis des Jahres fragt, so nenne ich ohne Zögern die Verpflichtungen zu Kunden-Freundlichkeit, die den vielen tausend krampfadergeplagten MitarbeiterInnen des Hauses Karstadt in die Arbeitsverträge gedrückt werden soll: Wer in diesen Tagen des vorweihnachtlichen Goldrush mit einfühlsam-pochendem Herzen als Zaungast miterlebt, wie die Konsumlakaien an Scannerkassen und Wurstschneidemaschinen, in der Kurzwarenabteilung und an den Grabbeltischen von König Kunde und anderen kleinen Arschlöchern in despotischer Grausamkeit an- und niedergemacht werden, der begreift sie noch im Nachhinein: Die ehrliche Empörung, die einst den großen Dreitagebart-Humanisten Andreas Baader im jugendlichen Überschwange dazu brachte, die Sprinkleranlage eines Kaufhauses auf ihre Funktionstüchtigkeit zu überprüfen.
t
Wenig wert geschätzte Bullizisten, die Ihr mit Gerold Janssen einen streitbaren Spontankünstler und wunderbaren Freund von Wachtelkönig und Sauerampfer attackiert habt: Wisset, daß Ihr nicht wert seid, ihm das Schwarze von den Fußnägeln zu lutschen und von seinem Achselschweiß zu trinken. Ihr glaubt wohl nicht an die Allgegenwart des Robin Hood der Adventszeit? Sankt Niklas, wenn der Euch erwischt, er trägt Eure Namen ein ins Große Buch der Bosheit und kommt Euch mit der Rute, der Gute. Besser, Ihr beugt vor durch tätige Reue: Gegenseitig bitte zwölfmal Gummiknüppel auf den Blanken! Am besten öffentlich, beim gemütlichen Hollerland-Trassengegner-Treff am nächsten Mitwoch um 19.30 Uhr am Ortsamt Horn.
t
Am Glühweinstand auf dem Weihnachtsmarkt. Ein landesüblicher Vollkorntrottel vom Typ Dressman beim Waschbär-Versand umschmeichelt den Inhaber mit sabberndem Naturschleim-Timbre mit diesen Worten: „Den Glühwein, den machen Sie noch so richtig mit Gewürzen und Honig nach altem Hausrezept, das merkt man schon!“Worauf dieser dann ziemlich trocken kontert: „Das Rezept kannse haben. Tetrapacks mit Glühwein innen Pott, bis er voll ist. Dann Zucker rein, Hitze druff und fertich is die Jauche. Rein inne Tasse, abkassiert, na klar. Dubismansoblöd, Mann, kannse dir doch denken, wie das läuft!“Mit solchen realitätstüchtigen Menschen hätte Brecht im Exil sicher gern mal ziemlich einvernehmlich über die Zusammenhänge zwischen treudeutscher Romantik und doitschem Buchenwald diskutiert ...
t
Bei Eduscho an der Obernstraße versucht ein offenkundig drogenkrankes Mädel in ziemlich schwärendem Allgemeinzustand von einem vielleicht 70jährigen das Kleingeld für 'nen Kaffee zu schnorren. Bekommt aber statt dessen von dem schamlosen Greis unüberhörbar eine Einladung zum körperbetonten Hausbesuch zugetuschelt, worauf der freundliche Herr Kümmeltürke vom Stehtisch nebenan generös einen Zehnmarkschein auf die Tischplatte knallt und der wackligen jungen Frau in herrlich indiskreter Lautstärke die Schenkung erläutert: „Mussu dann nich bumsen mit die alte Opa für Tasse Kaffee“. Tjaja, der Bischof Nikolaus kommt aus Kleinasien und hat ein wahrhaft großes Lebkuchenherz!
t
Und in der Warteschlange bei oder beim Aldi deutet eine mutmaßliche Rußlanddeutsche auf die Dominosteine in meinem Einkaufswagen und fragt „Is gutt?“Wahrheitsgemäß bejahe ich, und sie insistiert erneut: „Schmeckt gutt das wirklich!?“Erneut bestätige ich meine umfangreiche Erfahrung mit diesem Produkt und darf nunmehr mit ansehen, wie sie vielleicht 60 oder 70 Packungen mit der süßen Ware in ihren Wagen packt. Das wird ein schönes Weihnachtsfest geben, irgendwo in Kasachstan.
Bitte morgen an den blankgeputzten Stiefel denken, rät mit allem Nachdruck
Ulrich Ruprecht-Reineking
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen