■ Urdrüs wahre Kolumne: Trost beim Sarotti-Mohr
Hanseatisch-amtliche Kontrolleure prüften jetzt die Qualität der Glühweinstände auf dem Bremer Weihnachtsmarkt und mußten von verdorbenem Wein bis hin zu verschmutzten Bechern manche bedenkliche Feststellung machen. Daß bei einigen Anbietern allerdings der allzu geringe Alkoholstand moniert wurde, nimmt wunder: Wer hätte je schon den Herren des Hauses Beck vorgeworfen, Lightversionen ihres Gebräus auf den Markt zu werfen. Als Bündnispartner des Glühweinbudikers im antimonopolistischen Kampf be-klagen wir wieder das Prinzip „Immer auf die Kleinen!“
t
Widersprüchliches ist der Bremer Presse ad personam Oberst von Grone zu entnehmen: Während der Sproß eines vermutlich seit Generationen Kommißköppe produzierenden Ge- schlechts in der taz zur Reichskriegsflagge beteuert: „für mich tabu wie der Springerstiefel“, zitiert die andere Heimatzeitung ihn mit den markigen Worten: „Ich bleibe dabei: Die Reichkriegsflagge ist im Grunde genommen unbelastet.“Wie überhaupt die Wehrmacht stets ein wackerer Pfadfinderhaufen war und die angeblichen Greuel von einst ebenso wie die HeileheileHitler-Feten von heute allemal von solchen Kreisen inszeniert wurden, die den Sicherheitsproduzenten im grauen Rock was am Ehrenzeug flicken wollten. „Von Grone? Echtes Schlitzohr der Mann!“
t
Mit einiger Genugtuung höre ich die Nachricht vom Scheitern des Bremer Marathon und sehe damit meine jahrelangen Bemühungen gegen solche unappetitlichen Nudel-Rituale der Kasteiung bestätigt. Das Ergebnis des nächsten Krieges erfahren wir auch ohne wundgelaufene Hacken, und Männer in der Midlife-Crisis können ihre verbliebene Vitalität herzlich gern im spontanen Kneipenfaustkampf unter Beweis stellen. Ist doch vom Unterhaltungswert viel höher.
t
Daß sich die Malocherklasse noch nicht jeden Scheißdreck gefallen läßt, durfte der Herr Chef Hans Heinrich Pöhl von der Bremer Lagerhaus Gesellschaft erleben, als während seiner Rede vor der Bremerhavener Betriebsversammlung nahezu alle 1.100 Teilnehmer den Saal verließen und ihm damit die Arschkarte zeigten für wuchtige Gehaltszulagen bei den Bossen und Zulagenstreichungen beim Hafenproletariat: Von solchen Gesten bis zum Ausrufen des Arbeiter- und Soldatenrates ist es in der Weltgeschichte manchmal kürzer als vom Kopf bis zum Hals!
t
„Niemand interessiert sich wirklich für unsere Arbeit“, klagen die Künstler aus den winzigen Fenstern ihrer winzigen Dachkammern. Wirklich? Deprimierter Poet, enttäuschter Bildhauer – greife nur trostsuchend zur Vollmilchschokolade, und Du liest dort auf der Verpackung: „Immer wieder hat der Sarotti-Mohr als Inbegriff für himmlischen Schokoladengenuß Menschen inspiriert, traumhafte Kunstwerke zu schaffen. Dichten, zeichnen, basteln und fotografieren Sie mit. Eine Antwort kommt bestimmt...“Ab die Post an den Sarotti-Mohr. 60175 Frankfurt/M. reicht aus!
t
An der Obernstraße steht ein arg vom Leben gerupfter Wichtelmann in vorpommerscher Landestracht (Ballonseidendress mit Plastikstiefeln) neben einem deklassiert wirkenden Esel und mahnt die Passanten per Stellschild: „Wer Tiere liebt auf dieser Welt/der spendet gern für Futtergeld“. Jeder Hilfsgeistliche könnte nunmehr einen Vortrag halten über die Gleichgültigkeit der vorbeischlendernden Menge, während uns die dummschnasseligen Volksaufklärer darüber belehren, daß dieser Herr das Geld vermutlich eher in Bier und Bratwurst für sich und die Seinen umsetzt. Wir aber erglühen in leidenschaftlicher Zuneigung zu der alten Dame, die dem Menageriedirektor einen Glühwein vorbeibringt (“Auf dem Becher ist drei Mark Pfand, das könnse sich hinterher abholen“) und für den Esel noch ein Sonnenblumenkernbrot im Einkaufsnetz hat. Auf solche Menschen traf man einst im Stall zu Bethlehem! Um einen Heiermann für den ersten Bettelmann, der Dir begegnet, bittet Dich
Ulrich Ruprecht Reineking
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen