■ UrDrüs wahre Kolumne: Helden des Alltags
Wiederholt wurde an dieser Stelle die strunzdumme Unsitte gebrandmarkt, dass junge Menschen irgendwo durch die Gegend laufen und diesem Vorgang Sinn zu geben trachten, indem sie ihr Tun als Benefiz-Lauf ausweisen und mit der herrischen Miene des Idealisten verlangen, dass andere pro abgestrampeltem Kilometer diesen oder jenen Betrag für irgendeinen guten Zweck spenden sollen, etwa für die Auswilderung von Killerwalen aus dem Delphinarium, für den Arbeitersamariterbund in Huchting oder ein Elefanten-Waisenhaus in Burma. Jetzt sind auch die in Norddeutschland stationierten britischen Soldaten auf den Charity-Trichter gekommen und wackeln auf einem „sponsored march“ bis einschließlich morgen durch die Heide, um so von den Spendern links und rechts des Weges Beträge für die SOS-Kinderdörfer zu erheischen. Wenn das dann auch noch bei den NATO-Truppen insgesamt Schule macht, dürfen wir uns den nächsten Feldzug gen Balkan oder Tschetschenien als Benefiz-Gala vorstellen, bei der im Vormarsch der Truppen auch gleich für den Wiederaufbau gesammelt und das Geld direkt auf das Konto der Philipp Holzmann-Gruppe überwiesen wird.
Ab morgen lässt die BSAG die Kultourbahn rollen und das Konzerthaus Glocke packt noch ein Klavier auf die Tram. Das Musikfest ist auch dabei und das Bremer Kaffeehausorchester lässt die Geigen schluchzen: Das hat Weltniveau, fördert Lebenslust und Stadtmarketing und ist im Grunde genommen doch Quark von jenem Quark, den die hiesigen Freikartenabonnenten mit dem gespreizten Finger am Sektglas immer dann breit treten, wenn ihnen sonst kein Grund mehr einfällt, um das kleine Schwarze auszuführen. Wegen sowas hat Mozart bestimmt nicht das Requiem aus der Seele geschwitzt, und dafür hat Van Gogh sich nicht das Ohr abgeschnitten! Irgendwie alles ganz schön Mjusicäl, mit reichlich Overniggeland-Gülle ...
Ach Frau Müller-Meier-Lehmann, huch, Herr Schulte-Sengstaake! Wusstense schon, dass der von Euch zur Zwangsabschiebung vorgemerkte Abbas aus Huchting immer noch im Untergrund dieser Stadt oder ihrer Umgebung leben muss? Stellt sie endlich ein, die elende Menschenjägerei, damit diese Schande nicht länger den wackeren Roland am Mittags-Nickerchen hindert und im großen Buch des Lebens auf Eurer moralischen Soll-Seite Schuldzinsen trägt. Kost' doch nicht viel, so eine Geste, von mir aus als humanitärer Akt zur Einweihung der neuen Landesvertretung in Berlin. Dann schmeckt das Bier in der Kajüte wenigstens für einen Abend moralisch unbedenklich.
Im Linienbus (dessen Streckennummer hier aus gutem Grund nicht genannt wird), steigt ein mutmaßlich drogenkrankes Paar ein, ohne dass ein Zahlvorgang oder die Abstempelung eines Fahrscheins erkennbar wäre. Dies ruft eine mittelalterliche Ekelbratze auf den Plan, die wie frisch aus dem edlen Naturleinen-Katalog herausgeschnitten gekleidet ist. Sie weist den Busfahrer auf ihre Beobachtung hin und ergänzt mit bebender Stimme: „Das sowas Monatskarten hat, ist ja wohl kaum anzunehmen, fragense doch mal nach.“ Der Chauffeur lässt sich durch die Denunziantin nicht aus der Ruhe bringen: „Meine Arbeit mach' ich wie ich will. Das geht Sie ja nun gar nichts an. Ich frag ja auch nich', ob Sie Hundesteuer bezahlen oder den Hals gewaschen haben.“ Helden des Alltags, an denen die Bosheit zerbricht: So lieben wir den Menschen am Steuer! Und fast genauso ergötzte uns der waidwunde Blick dieser Dame, die sicher noch in dieser Woche auf einer Bananenschale ausrutschen wird, denn in solchen Kleinigkeiten ist das Schicksal manchmal sehr auf gerechten Ausgleich bedacht!
Da treten die Grünen doch wahrhaftig für den Abriss des Siemens-Hochhauses ein, um den Weg zum Singspieltempel tourismus-kompatibel zu machen: Noch nie was von Ressourcen-Erhaltung gehört? Da schlagen wir doch lieber eine gigantische Efeuberankung und die Einrichtung einer Botschaft der Republik Utopia mit Nachtlager für Stadtstreicher und andere irdische Überlebensformen vor ... In diesem Sinne
Ulrich „Redsox“ Reineking
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