Village Voice: Ur-Britpop in Tempelhof
■ Musik aus der Stadt mit Herz und Schnauze: Patrick Goldstein lebt seinen Poptraum, „Der Riss“ besingt Piranhas
Da ist sie wieder, diese stete Wechselbeziehung zwischen Provinz und Metropole. Wenn Patrick Goldstein nicht gerade in der Lokalredaktion der Berliner Morgenpost seine Schrippen verdient, funktioniert er sein Tempelhofer Badezimmer zum Beatschuppen um, bearbeitet Instrumente und singt.
Was dabei herauskommt? Popmusik auf Weltniveau, deren Bezugssystem die Sixties sind, auch wenn die Melancholie der frühen Achtziger des öfteren durchscheint. Nach „Goldstein Circus – Playin' Songs“ und „Goldstoned – Home Run“ hat er sich nun mit dem Hamburger Musiker Knud-Philip Roettger zusammengetan und in Caroline now! umbenannt. Das Ergebnis der gemeinsamen Zeit im Übungsraum heißt „Puzzle“ und ist schlichtweg entzückend. Denn wo der innere Lo-Fi-Detektor beim Stichwort „Homerecording“ mindestens eifriges Geschrammel mit Pappkarton- Schlagzeug erwartet, lauern bezaubernde Arrangements und gepflegter Gesang.
„Schubidu!“ tönt es da tatsächlich, doch kurz bevor es in den Ablagen E und F wie „Einkaufsradio“ und „Fahrstuhlmusik“ verschwindet, räuspern sich die MTV-Kommentatoren Beavis und Butthead und warnen: In drei Minuten dockt Kampfstern Wayne's World an, die Crew hört Techno, und die Bodenkontrolle verweigert die Landeerlaubnis. Trotzdem gelingt Kapitän Goldstein immer wieder das Unmögliche, wenn er sein kindheitsgewendetes Popbegehren so formatiert, daß es weder zu flott konsumierbarem Easy Listening noch zur bloßen Beschwörung der guten alten Zeit wird. Statt dessen kreisen elf verträumte Songs um sich selbst, sagen ab und zu freundlich „guten Tag“ und drängen sich ansonsten nicht weiter auf. Diese Bescheidenheit ist sympathisch, verhindert aber auch, daß dieses Album in übermäßig vielen Regalen seinen verdienten Platz neben Lloyd Cole einnehmen wird.
Nicht ganz so erfreulich ist es um „Orchideentanz“ bestellt, eigenhändig eingespielt, abgemischt und in Kreuzberger Plattenläden gestellt von Der Riss. Obwohl die Truppe schon vor vier Jahren von vier aus Westdeutschland zugewanderten Studenten oder Künstlern gegründet und von dem in Georgien berühmten Punk-Drummer Dato Tschawtschanischwilli verstärkt wurde, scheint sich, abgesehen von der neuen E-Mail-Adresse, da nicht viel getan zu haben.
Der größtenteils lahme Sound erinnert an gruselige Platten wie „Kein Schlaf bis Tromsö“ von Fleischlego. Dazu eigenartige Gesänge, die zu zehn Dreizehnteln in einem Englisch gehalten sind, wie es selbst Udo Kier nicht schlechter über die Lippen brächte. Bleiben die Ideen: Lieder über Weltraumhunde gehen in Ordnung, aber wieso über Kühlschränke schreiben, wenn doch schon Samba aus dem Münsterland alles über das nächtliche Leuchten aus ebenjenem Gerät gesagt haben?
Und erst die deutschsprachigen Texte, die von glühender Nacht Zeugnis ablegen, in der rostige Mähdrescher sich bis zum letzten Sonnenstrahl bei Gegenwind mit Flughunden umgeben. Wenn die nicht vom quietschenden Ventilator in der bleischweren Luft in knöcherne Buchstaben verwandelt worden sind, dann meckern sie wohl heute noch wie Hyänen. Auch ganz weit vorn im Kampf um den großen Verdienstorden des Expressionismus, der letztes Jahr an Herrn Blum aus Hönow für seine „Schock“-CD ging, das Lied über den Piranha, der Maulwürfe im morastigen Moor jagt. Währenddessen riecht es nach Orchieen, und die Nacht kommt schwarz hervor. Da hilft nicht mal mehr der entschuldigende Gedanke, daß irgendwo in weiter Ferne angedacht worden sein könnte, diese Sorte Musik wäre der Renner der Schaustelle Berlin. So hart ist es hier dann doch nicht. Gunnar Lützow
Caroline now!: Puzzle (Pat Sounds)
Der Riss: Orchideentanz (Eigenvertrieb)
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