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Unterwegs mit einem 3-D-FotografenFototermin mit Störtebeker

Virtuelle Besuche ermöglichen: Damit haben sich in der Pandemie viele Museen beschäftigt. Aber wie kommt eigentlich so ein 3-D-Rundgang zustande?

Darf sonst nie ins Bild: Fotograf Stefan Dendorfer kontrolliert den 3-D-Scan auf dem Smartphone Foto: Anina Pommerenke

Eckernförde taz | Mit einem lauten Surren dreht sich der schwarze Kasten um die eigene Achse. Etwa zwanzig Sekunden dauert es, bis der 3-D-Scanner die kompletten 360 Grad geschafft hat. Geduldig läuft Stefan Dendorfer im Kreis hinter der sich drehenden Kamera her – damit er am Ende selbst nicht im Bild zu sehen ist. Auf seinem Smartphone kann der Fotograf aus Eckernförde das Ergebnis sofort kontrollieren. Nach einem kurzen Qualitätscheck trägt er das dreibeinige Stativ mit dem Scanner oben drauf vorsichtig ein paar Meter weiter – und drückt wieder auf den Knopf. Diesen Vorgang wiederholt Dendorfer für einen 50 Quadratmeter großen Ausstellungsraum um die 25 Mal.

Die richtige Kameraposition sei das A und O beim Digitalisieren von Ausstellungsräumen. Dendorfers Anspruch: Jedes Objekt, jede Vitrine soll später, im 3-D-Modell, aus dem bestmöglichen Blickwinkel zu sehen sein. Aber auch die Atmosphäre und besondere Perspektiven beim Betreten eines Raumes versucht er einzufangen. Schließlich soll der 3-D-Rundgang einem tatsächlichen Besuch möglichst nahe kommen. Durchaus ambitioniert: Die Galerie „Carls Art 78“ in Eckernförde, in der er heute scannt, präsentiert Objekte auch schon mal quer durch den Raum – oder von der Decke herunter hängend.

Als langjähriger Architekturfotograf bringt Dendorfer ein Auge für Gebautes mit. Das ist nicht unwichtig, denn Stolperfallen lauern bei der Digitalisierung von Ausstellungsräumen überall; insbesondere verdeckte Ecken bereiten dem Fotografen Probleme. „Da muss die Kamera rein“, erklärt er. Ansonsten wäre später nur ein Loch zu sehen. Auch Spiegelungen in Fenstern, Kunstwerken und Vitrinen gilt es zu vermeiden. Bei der Arbeit in einem komplett verspiegelten Fitnessstudio etwa musste sich Dendorfer immer wieder hinter einer Bodenmatte verstecken – ein zeitintensives Verfahren.

Und so ganz allein schafft der Scanner die Arbeit auch nicht: Mal verdeckt Dendorfer mit einer Hand ungünstige Lichtquellen und schleicht sich dann in letzter Sekunde aus dem Bild. Dann korrigiert er die Höhe des Stativs. Das darf er jedoch auch nicht zu oft machen, weil sich der Raum in der 3-D-Darstellung sonst überlagern könnte. Besonders wichtig sei es jedoch, sich einen sinnvollen, symmetrischen Pfad durch den Raum zu überlegen, dem die Besucher der Räume später folgen können, erklärt der Fotograf.

Lohnende Investition in teure Technik

Vor anderthalb Jahren, kurz vor der Coronapandemie – hat Stefan Dendorfer damit begonnen, von Ausstellungen, aber auch von Firmen und Geschäften 3-D-Modelle anzufertigen. Die kostspielige Investition in die Technik war rückblickend betrachtet wohl ein Glücksgriff; ein guter Freund hatte ihn damals darauf aufmerksam gemacht. Seither hat Dendorfer beinahe 200 Aufträge angenommen.

Der 3-D-Scanner hat drei Kameralinsen, die in 4K-Qualität aufnehmen, also mit rund 4.000 Pixel je Zeile. In jeder Kameraposition macht Dendorfer drei Bilder: eine Überbelichtung, eine Unterbelichtung und ein normales Bild. Eine Software macht daraus eine Panoramasphäre in sehr hoher Qualität. Per Laser vermisst der Scanner den Raum, sodass sich nach und nach ein exaktes dreidimensionales Modell zusammensetzt.

Neben dem 3-D-Scanner und weiterer Technik hat Dendorfer unter anderem eine leistungsstarke Bearbeitungssoftware angeschafft. Sie fügt die 360-Grad-Panoramen im Nachgang zusammen – und rechnet dafür auch schon mal eine Nacht lang. Dendorfer muss das Ergebnis dann noch kon­trollieren, zum Beispiel Fensterflächen markieren und Fehler wegschneiden. Besonders interessant ist für Museen die Möglichkeit, individuelle Informationen einzufügen: Hintergrundgeschichten, Audio-Stationen, weiterführende Links. Daran arbeitet Dendorfer meist über mehrere Wochen gemeinsam mit seinen Auftraggebern.

Zu sehen ist das mögliche Ergebnis zum Beispiel beim Lübecker Hansemuseum: Dessen Sonderausstellung „Störtebeker und Konsorten – Piraten der Hansezeit?“ kann komplett virtuell besucht werden. Entweder über den Browser oder sogar mit Virtual-Reality-Brille. Ähnlich wie bei Google Street View können sich Besucherinnen und Besucher per Mausklick an Markierungspunkten entlanghangeln.

Intuitive Handhabung

Die Handhabung braucht vielleicht etwas Übung, ist aber doch recht intuitiv. Besondere Exponate und Ausstellungstexte lassen sich mit einem Klick vergrößern und genauer betrachten. Alle Inhalte der analogen Ausstellung sind auch in den virtuellen Rundgang eingefügt. Wer möchte, bekommt also nicht nur einen oberflächlichen Eindruck, sondern kann sich sehr detailliert damit auseinandersetzen.

Für das Hansemuseum ist der Einsatz solcher Technik weit mehr als eine Möglichkeit, in Zeiten verschlossener Türen mit seinem Publikum in ­Kontakt zu bleiben. Der Rundgang war bereits zum Ende des ersten Lockdowns online und verzeichnete nach den ersten Monaten mehr als 5.000 Zugriffe. Sören Affeldt, Kommunikationschef des Museums, führt das auch auf seine Führungen zurück, die er durch die 3-D-Umgebung anbietet: Er trifft sich mit Besucherinnen und Besuchern auf der Videoplattform Zoom und begleitet sie dann durch die virtuelle Version der Ausstellung.

Die Online-Angebote will Affeldt in Zukunft weiter ausbauen und neue Produkte entwickeln. Dafür sei die Bereitschaft erst seit der Coronapandemie da: Als besonders spannend bezeichnet er die Idee, gezielt mit Schulklassen in den virtuellen Rundgängen zu arbeiten. Sie könnten zum Beispiel Aufgaben gestellt bekommen, bestimmte Fragestellungen, die sie dann erforschen sollen.

Darüber hinaus gefällt ihm die Tatsache, dass die Ausstellungen für immer gespeichert werden: „Wir können uns in fünf Jahren diese Ausstellung noch einmal ganz genau anschauen. Da steckt ja auch viel wissenschaftliche Arbeit und Mühe drin, Geschichten zu erzählen und zu bilden. Ich kann immer wieder Bezüge herstellen zu aktuellen Themen.“ Für den Kommunikationschef haben diese Rundgänge also auch über die Pandemie ­hinaus echten Mehrwert. Das Hanse­museum jedenfalls will ab sofort jede Sonderausstellung digitalisieren lassen.

Digitale Auktionen

Für „Carls Art 78“ in Eckernförde ist es in Zeiten von ausbleibenden Touristen und Be­su­che­r*in­nen eine gute Möglichkeit, Kunstwerke zu zeigen. Galerieleiterin Margit Buß, selbst auch freischaffende Künstlerin, betont, wie wichtig das für die örtliche Künstlerkolonie sei. Den 3-D-Rundgang durch die derzeitige Ausstellung „Die neue Leichtigkeit des Seins“ betrachtet Buß als zeitgemäße Werbung: „Fragen Sie die Künstler, was sie im letzten Jahr verkauft haben, das ist bitter wenig. Wir leben aber auch von unserer Kunst!“

Sie gibt auch zu bedenken, dass die gesamte Kunstbranche infolge der Pandemie einen riesigen Schritt ins Digitale habe wagen müssen. Digitale Auktionen etwa seien vor Corona undenkbar gewesen. Das System habe wesentlich auf persönlichen Kontakten und dem Austausch vor Ort beruht. Und nun? Seien Auktionen im Internet an der Tagesordnung.

Virtuelle Rundgänge und überhaupt die 3-D-Technik bieten den Häusern gerade jetzt, aber eben auch für die Zeit nach der Pandemie Chancen. Sie machen neue Herangehensweisen an Ausstellungsinhalte möglich und das Speichern von Wissen und Konzepten – das Erlebnis eines Museumsbesuchs werden sie so bald aber wohl noch nicht ersetzen können. Für Stefan Dendorfer hat seine neue Tätigkeit einen positiven Nebeneffekt: Er geht so oft ins Museum wie nie zuvor.

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