Unterwegs in Sachsens NPD-Hochburg: Von Wegguckern und Kümmerern
Die Hoffnung war groß, dass diesmal weniger Bürger NPD wählen würden. Aber wieder hat jeder Vierte rechts gewählt. Wie aus Desinteressierten Stammwähler werden.
REINHARDTSDORF-SCHÖNA taz Wenige Tage nach der Kommunalwahl vom letzten Wochenende sind aus Reinhardtsdorf-Schöna sämtliche Wahlplakate verschwunden. Die der NPD, die die Sachsen aufforderten, "heimattreu" zu wählen. Auch die blauen der Bürgerinitiative "Demokratie anstiften", die erst eineinhalb Wochen vor der Wahl überraschend auftauchten und einfach nur "Demokratisch wählen!" empfahlen. Im Straßenbild deutet nichts darauf hin, dass die 1.600-Seelen-Gemeinde hartnäckig den bundesweit höchsten Anteil an NPD-Wählern verzeichnet.
Die rechtsextreme NPD hat bei den Kommunalwahlen in Sachsen in der Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna 25,2 Prozent eingefahren. Damit stimmte am Sonntag letzter Woche jeder vierte Wähler der Gemeinde für die NPD. Von den 1.370 Wahlberechtigten gaben 749 ihre Stimme ab, das entsprach einer Wahlbeteiligung von 54,7 Prozent. Die Gemeinde im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ist seit Jahren eine NPD-Hochburg. Nur die Freie Wählervereinigung gewann dort mehr Stimmen als die NPD, nämlich 26,8 Prozent. Schlechter als die Rechtsextremen schnitten die CDU mit 21,7 Prozent, die Linke mit 15,6, die FDP mit 4,2 Prozent, die SPD mit 3,7 Prozent und die Grünen mit 2,8 Prozent ab. Landesweit erreichte die NPD bei den Kommunalwahlen 5,1 Prozent. Vor vier Jahren waren es noch 1,3 Prozent. Ab jetzt sitzen die Rechten in allen sächsischen Kreistagen, im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge hat sie künftig 6 Sitze.
Im Gegenteil, Gäste von außerhalb, Touristen werden von den Gastwirten und zahlreichen Zimmervermietern freudig erwartet. Durchweg gepflegte Häuser säumen die Straßen, häufig mit Fachwerk verziert, gemütliche Kneipen und Pensionen, Waldbad und Stadion, alles perfekt ausgeschildert. Der Aufstieg aus dem Elbtal durch den Hirschgrund Richtung Kaiserkrone und Zirkelstein bei Schöna ist eine klassische Route unter Bergfreunden. Die Einwohner sind freundlich, es gibt keine offensichtliche Jungnazi-Szene in der Gemeinde, keine gewalttätigen Übergriffe, keine Aufmärsche. Selbst in diesen Tagen der Fußball-EM findet sich nur ein einziges schüchternes Deutschland-Steckfähnchen in einem Vorgarten.
Dennoch fragt man sich beim Anblick entgegenkommender Passanten, ob diese netten Gesichter wohl NPD-Wählern gehören. 25,2 Prozent, jeder vierte hat die Kreistagskandidaten der Rechtsextremen gewählt - was schlummert da in den Biedermännern von Reinhardtsdorf?
Darauf angesprochen, werden die Einwohner wortkarg. "Die NPD wird schon ihre Gründe haben, wenn sie im Wahlkampf so argumentiert hat", sagt jemand. "Hier ist ja nichts", meint eine Bürgerin, jedenfalls fast nichts, was Arbeit und Einkommen brächte. Außer dem Tourismus natürlich. Das will eine junge Mutter mit ihrem Kinderwagen nicht gelten lassen. So schlimm sei das mit der Abwanderung doch gar nicht. Sie zum Beispiel wolle hier bleiben - trotz NPD. "Gegen die kann man halt nichts machen", die seien nicht besonders gut, aber auch nicht besonders schlimm. Und die rechten Jugendlichen seien eh nur Mitläufer, die zu einer Gruppe gehören wollten. Die NPD ist eine zugelassene Partei, sie gilt hier nicht als rechtsextrem.
Auch Bürgermeister Olaf Ehrlich muss diese Erfahrung immer wieder machen. Dem 39-Jährigen gehört der Gasthof "Zum Zirkelstein", er ist ein Schönaer Urgestein, ein bodenständiger, wortwitziger Typ. Unruhig schaut er während des Gesprächs auf die Uhr, die winzigen Räume der Gemeindeverwaltung scheinen ihm geistig und körperlich zu eng. Fassungslos hat ihn das Wahlergebnis vom Sonntag gemacht. Selbst einer wie er kommt schwer an seine Bürger heran. Es gebe, erzählt er, mehrere Vereine am Ort, aber über die anstehende Probleme rede er immer nur "mit den üblichen Verdächtigen". Die Bereitschaft, sich lokalpolitisch zu engagieren, sei gering. "Wenn ich die Leute nicht anspreche - mich spricht keiner an", sagt der umtriebige Mann. Stattdessen äußern die Leute ihren Frust lieber auf dem Stimmzettel - da bleibt es anonym. Dabei, davon ist Bürgermeister Ehrlich überzeugt, sind die Leute weniger wütend über kommunale Missstände als über die Bundespolitik im Allgemeinen - da bilde Reinhardtsdorf-Schöna keine Ausnahme.
Der gesamte Landkreis Sächsische Schweiz zeigt sich seit den Neunzigerjahren anfällig für rechte Strömungen. Wäre durch die Kreisreform jetzt nicht ein gemeinsamer Kreistag mit dem ehemaligen Weißeritzkreis gewählt worden - das NPD-Ergebnis wäre statt 7,5 Prozent zweistellig ausgefallen. Auf 10 bis 12 Prozent schätzt Bürgermeister Ehrlich das NPD-Stammwählerpotenzial. Dass es die gibt, quer durch alle Altersklassen, bestreitet niemand mehr.
Wirtschaftliche Probleme reichen als Erklärung nicht aus. Man kann die Sächsische Schweiz durchaus mit Oberbayern vergleichen, wo aufgeklärtes Denken gegen Treu und Redlichkeit wenig Chancen hat.
Wie stark gerade NPD-Wahlergebnisse von Persönlichkeiten beeinflusst werden, zeigt das nur wenige Kilometer entfernte Königstein. Nach dem Unfalltod des populären Fahrlehrers und NPD-Landtagsabgeordneten Uwe Leichsenring vor zwei Jahren brachen die Rechten in der Kleinstadt auf "nur" 10,8 Prozent ein.
In Reinhardtsdorf-Schöna zieht die Stimmen ein Klempnermeister namens Michael Jacobi. "Das ist ein einziger Mann, der hier gewählt wird", winkt die Verkäuferin im Schönaer Tante-Emma-Laden ab, wo es vom Törtchen bis zum Sauerkraut alles gibt. Den 54-jährigen Jacobi aus dem Ortsteil Kleingießhübel kennt hier jeder, zumindest jeder, der eine Heizung und ein Klo im Hause hat. Handwerksmeister genossen schon in der DDR hohes Ansehen. Die Bürger wählten ihn noch 1999 mit einem Spitzenergebnis für die freie "Wählervereinigung 94" in den Gemeinderat. Dass er ein Waffennarr war und Militaria sammelte, nahmen sie in Kauf.
Doch dann kam im Juni 2000 jene Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit dem Verbot der "Skinheads Sächsische Schweiz" SSS. Mindestens einer seiner beiden Söhne war Mitglied in der paramilitärischen Schlägertruppe, der 2002 geschlossene Jugendklub in Schöna einer ihrer Anlaufpunkte. Gefunden wurden neben "Waffenschrott", so der Dresdner Oberstaatsanwalt Jürgen Schär, aber auch zwei Kilo TNT-Sprengstoff. Das Ermittlungsverfahren wurde zwar wegen Geringfügigkeit eingestellt. Jacobi aber trat daraufhin plötzlich für die NPD an - er nahm eine Menge Wähler mit. 23,1 Prozent holte die Partei 2004 im Ort, der fortan bundesweit für dieses Ergebnis bekannt wurde.
Das schockierende Wahlergebnis 2004 hat aber auch eine Menge bewegt in Reinhardtsdorf-Schöna. Wenig später gründete sich die Bürgerinitiative "Demokratie anstiften", erzählt deren Sprecher Michael Wacker. Zivilcourage zeigen und aufklären wollen sie, das Programm der NPD bedeutet für den bei der Bundeswehr angestellten Regierungsdirektor im Klartext "Bürgerkrieg nach innen und Aggression nach außen". Er meint, eigentlich sei es "ein Erfolg, dass die NPD nicht noch mehr Stimmen bekommen hat". Schließlich seien jene Jugendlichen, die vor Jahren von Jacobis Wehrmachts-Leidenschaft angezogen wurden, heute Wähler.
Tatsächlich ist es gelungen, den NPD-Einfluss im Ort zurückzudrängen. Im Heimatverein zum Beispiel ist der Rechte Mario Viehrig nicht mehr Mitglied. Viehrig, neben Jacobi der zweite NPD-Frontmann, flog raus, weil er ein Fußballturnier organisiert hatte, auf dem Trikots mit der Aufschrift "Fit fürs Reich" getragen wurden.
Ebenfalls über den Heimatverein hat Michael Wacker der NPD noch ein anderes Projekt weggeschnappt: das Denkmal für die mehr als sechzig gefallenen Reinhardtsdorfer. Heute steht am Aufstieg zur Kaiserkrone ein neutral gehaltenes Mahnmal, die Rechten hatten dort einen Aufmarschort geplant.
Auch bei einem anderen Thema konnte die Zivilgesellschaft punkten. Der von der NPD 2006 initiierte Bürgerentscheid gegen die Eingemeindung ins nahe Touristenstädtchen Bad Schandau sollte eigentlich den Sieg der Rechten bei den Bürgermeisterwahlen vorbereiten. Ins Amt aber kam mit 67,3 Prozent der Wählervereinigungs-Kandidat Olaf Ehrlich. Der guckte nicht mehr weg wie sein Vorgänger.
Eines seiner ersten Projekte war der Jugendklub im alten Heizhaus - "Boilers End" haben ihn die jungen Reinhardtsdorfer getauft. Ein Anfang. Der kleine Raum ist gut besucht, die 19-jährige Liesa König und eine Handvoll Aktive möchten hier "etwas bewegen" - parteipolitisch neutral, einfach positive Jugendkultur. Man spürt den Einfluss der Berater vom Kulturbüro Sachsen und dem Mobilen Beratungsteam Pirna, nicht nur bei der Hausordnung.
Es läuft also nicht schlecht für die Demokraten von Reinhardtsdorf-Schöna. Warum also, fragt sich Bürgermeister Ehrlich, hat sich seine Arbeit der letzten beiden Jahre nicht im Wahlergebnis niedergeschlagen? "Die NPD stellt sich hier immer als der große Kümmerer dar - als ob ich nicht ansprechbar wäre", grollt er. "Ich will wegen denen nicht nach der Gemeinderatswahl im nächsten Jahr wieder fünfzig Reporter abfertigen müssen!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen