Unterwegs auf dem Klimastreik in Berlin: „Wir sind hier, um zu löschen“

Mit einer Grundsatzrede vor dem Brandenburger Tor stimmt Luisa Neubauer die Mehrheitsgesellschaft auf die Klimawahl 2021 ein.

Bild: dpa

Von Peter Unfried

Riesige Seifenblasen stiegen in den grauen Himmel über dem Brandenburger Tor, und was immer die symbolische Bedeutung sein könnte, Luisa Neubauer holte alles auf die sich ungestoppt erhitzende Erde zurück. Was war das denn für eine Rede? Peptalk einerseits, von einer präzise einstudierten Authentizität, andererseits mit einem erstaunlichen Gespür für die richtigen großen Worte.

Wenn sich jemand gefragt hatte, was denn nun eigentlich mit Corona und klimapolitisch indifferenter Bundesregierung aus der Klimapolitikbewegung Fridays for Future geworden war, so versuchte Neubauer, 24, erkennbar, die Antwort zu geben. „Menschen wollen sehen, dass wir scheitern, dass wir aufgeben, Menschen wollen unsere Resignation“, sagte sie und nach einer Spannungspause, „aber das kriegen sie nicht.“ Man befürchtete schon das Schlimmste, aber dann nahm sie die Kurve ins Konstruktive und rief: „Wir sind nicht hier, weil es brennt, wir sind hier, um zu löschen.“ Frei übersetzt: Wir maulen nicht, wir machen.

Ich fasse nochmal kurz zusammen: Seit man 1990 angefangen hat, die Klimakrise bearbeiten zu wollen, hat die Menschheit mehr als die Hälfte aller bisherigen CO2-Emissionen raus gehauen. Die Erde hat sich um 1,2 Grad erhitzt. Man hat die Krise also nicht bekämpft, sondern befeuert, während man sich oder anderen einredete, das werde schon. Seit Fridays for Future aufgetaucht sind, ist das Bewusstsein für die Notwendigkeit politischen Handelns und sozialökologischen Umsteuerns im Mainstream deutlich gewachsen. Es hat sich aber nicht in Politik umgewandelt.

Die Bundestagswahl ist der Kampf des Jahrhunderts

Das Ziel ist daher die Bundestagswahl 2021, bei der laut Neubauer jede demokratische Partei einen 1,5 Grad-Plan haben soll. „Was jetzt kommt, bis zur Bundestagswahl“, sagte sie, „wird unangenehm.“ Davon kann man ausgehen.

Diese Bundestagswahl ist der Kampf des Jahrhunderts. Die Abstimmung darüber, ob die nächste Bundesregierung die deutsche Klimapolitik deutlich intensiviert. Den globalen Klimastreik an diesem Freitag muss man als bundesrepublikanische Auftaktveranstaltung jenes Teils der Gesellschaft verstehen, dem das wichtig oder sehr wichtig ist. Das sind keine „Aktivisten“, sondern Bürger,  es ist nicht der radikale Rand, es ist die neue Mitte dieser Gesellschaft im Wandel, die die nächste Regierung darauf verpflichten will, das unterzeichnete Klimaabkommen von Paris („deutlich unter 2 Grad“) einzuhalten. Es zumindest ernsthaft zu versuchen.

Es ist so, dass demokratische Politik sich auf die gesamtgesellschaftliche Realität bezieht und nicht auf die physikalische. Es hilft also nur eines: Die gesellschaftliche Realität (die mehrheitliche Einschätzung der Klimakrise) muss näher an die physikalische Realität (die laufenden Prozesse und sich entwickelnden Katastrophen) rücken, so dass die Politik unter Handlungsdruck kommt. In dieser Hinsicht hat Fridays for Future in den letzten beiden Jahren richtig geschoben.

Reine Willensbekundungen von der Politik

Ursula von der Leyens Green Deal für die EU (Reduzierung der Emissionen um 55 Prozent bis 2030) ist erst mal wieder nur eine Willensbekundung. Aber man kann die Kommissionspräsidentin darauf festlegen – und das weiß sie auch. Gleiches gilt für unseren geschätzten Wirtschaftsminister Peter Altmaier und seinen neuen Altmaier-Plan, die „Charta für die Rettung des Klimas und den Erhalt unserer Wirtschaftskraft". Manche FFF-Leute kotzten im Strahl, weil es ihnen wieder nur ein taktisches Sprechen schien. Kann sein. Wie wir wissen, handelt auch Altmaier nicht gegen die gesellschaftliche Realität. Es bringt also nichts, ihm moralisch zu kommen.

Was es bringt, ist die gesellschaftliche Realität so zu verändern, dass Altmaier gegen sie handelt, wenn er NICHT handelt. Nehmen wir an, Altmaiers Plan wäre es, liberale und zur CDU tendierende Bürger bei der CDU zu halten, indem er ihnen sagt: Klimapolitik machen wir auch – aber nicht so maßlos, wie diese Ökokids das wollen. Bringt es da etwas, die rhetorische Radikalität zu verschärfen oder „das System“ anzugreifen?

Ne, tut es nicht, weil die liberalkonservativen Demokraten sich dann hinter Altmaiers breiten Rücken flüchten. Wenn aber diese Leute richtig angesprochen werden und sich im Zuge einer klima-emanzipatorischen Entwicklung überlegen, ein ambitionierteres Angebot in Betracht zu ziehen, sagen wir das der Grünen, dann wird Altmaier unter Druck kommen, und er muss das eigene Angebot verbessern. Worauf die Grünen ihr Angebot verbessern müssen. Undsoweiter. Wenn man aber sagt, das ist doch alles Scheiße und die Grünen sind auch nicht „radikal“ genug – dann hat man theoretisch Recht, und das kann man sich dann schön auf den eigenen Grabstein meißeln lassen („Ich hatte Recht.“).

FFF sind eine Bewegung der ganzen Gesellschaft geworden

Selbstverständlich wurde am Freitag in Berlin auch Antikapitalismus empfohlen, es wurden die Bösen angeklagt, die weißen Privilegien gecheckt, ein bißchen rumgeheult, was halt zu einer diversen und diskursiven Gesellschaft gehört. Aber das Zukunftsfähige an Fridays for Future ist, dass sie sich nicht eingekapselt haben wie viele Bewegungen vor ihnen, sondern eine Bewegung der ganzen Gesellschaft geworden sind.

Weil sie verstanden haben, was die Funktion von Protest ist, nämlich die Klimakrise ins Zentrum der mediengesellschaftlichen Diskussion zu schieben und zu schauen, dass es dort bleibt. Weil sie aber auch verstanden haben, dass die Umsetzung der Protest-Agenda in den liberaldemokratischen Institutionen erfolgen muss. Es zeugt von großer Reife, als nächsten Schritt den FFF-Initiator Jakob Blasel, 19, in den Bundestag entsenden zu wollen.

Noch weitreichender ist das Verständnis von FFF, dass Zukunftspolitik in Zimmern gemacht wird. Früher hätte man schön despektierlich gesagt, in „Hinterzimmern“, aber das ist ein unsinniger Begriff. Erstens sind es normale Zimmer. Zweitens sind diese Gespräche, wie sie etwa Luisa Neubauer führt, mit der Kommissionspräsidentin, der Bundeskanzlerin, dem Bundespräsidenten, ein radikal notwendiger Bestandteil von politischen Change-Prozessen.

Die Zeit ist reif

Irgendjemand hat mal gemault, Frau Neubauer habe ja noch nicht mal ein Amt. Werch ein Illtum. Luisa Neubauer spricht nicht für Fridays for Future, sie spricht nicht für Ökoaktivismus und auch nicht für eine Partei oder politische Richtung, sie spricht seit mindestens einem Jahr für die sich neu formierende Mehrheitsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, die sich anschickt, Klimapolitik in ihrem Werte- und Politik-Kanon ein vorderer Stelle einzubauen. Dieses überparteiliche und überinstitutionelle Amt gab es nicht, aber es kam trotzdem zur Frau, und so ist das jetzt. Dass es soweit kommen konnte und auch von den anderen zugelassen und ausgehalten wird, ist die erstaunlichste Leistung von Fridays for Future. Es zeigt, wie politisch reif diese Twentysomething-Leute sind.

Es zeigt aber auch, dass die Zeit reif ist.

PETER UNFRIED ist Chefreporter der taz und Chefredakteur von taz FUTURZWEI.

In der aktuellen Ausgabe „Leadership“ untersucht er: „Können die Grünen Leadership?“

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