Unterstützung aus Ausland für Lieferboykott: Milchbauern wollen Streik ausweiten
Die Milchbauern in Deutschland wollen mit ihrem Streik gegen Dumpingpreise "zulegen". Bauern aus dem Ausland unterstützen sie - und wollen den Milchfluss eindämmen.
BERLIN taz/dpa Die deutschen Milchbauern haben am Mittwoch ihren Lieferboykott aus Protest gegen die aus ihrer Sicht zu niedrigen Milchpreise fortgesetzt. "Nachdem der erste Tag bereits über unseren Erwartungen lag, sind wir zuversichtlich, dass der Lieferstreik am Tag zwei noch zulegen wird", sagte ein Sprecher des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM), am Mittwoch in Berlin. Auch aus den europäischen Ländern erhielten die Bauern viel Zuspruch und Solidarität. Der BDM zeigte sich sicher, dass der Milchfluss aus dem Ausland deutlich eingedämmt wird.
Milchbauernverbände aus den Niederlanden, der Schweiz, Österreich, Belgien, Luxemburg und Teilen Frankreichs ihre Unterstützung zugesagt. Mit Irland und Tschechien liefen Gespräche.
Aus Protest gegen die niedrigen Preise für Milcherzeuger hatte der BDM am Dienstag zu einem unbefristeten Lieferboykott der Molkereien ausgerufen. Ziel sei "eine Erhöhung des Literpreises für Milch auf mindestens 43 Cent", sagte BDM-Sprecher Friedrich Foldenauer der taz. Derzeit bekommen die Bauern zwischen 25 und 35 Cent pro Liter. Dieser Preis liege unter den Herstellungskosten.
Der BDM vertritt rund 33.000 der 100.000 deutschen Milchproduzenten. Mit täglich 35 Millionen Liter Milch produzieren sie knapp die Hälfte der gesamten deutschen Kuhmilch. Versorgungsengpässe seien jedoch nicht zu befürchten: "Die Verbraucher werden nichts von dem Boykott spüren", sagte Hubertus Pellengahr vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels der taz.
Die Schuld an den niedrigen Milchpreisen sieht der BDM in erster Linie bei den rund 100 Molkereien und den großen Lebensmittelhändlern wie Edeka, Aldi und Lidl. "Die Preise werden quasi in Geheimverhandlungen zwischen dem Handel und den Großmolkereien vereinbart", sagte Georg Janssen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) der taz.
"Die Milchbauern sind ein Spielball zwischen dem Lebensmittelhandel und den Molkereien", sagte Janssen . Die Lieferverträge laufen meist über sechs Monate. Aus Furcht, Abnehmer zu verlieren, würden sich viele Molkereien auf die niedrigen Preise einlassen. "Wir sitzen mit den Molkereien in einem Boot. Allerdings sind die Molkereien auf dem Sonnendeck und die Erzeuger im Maschinenraum", sagte Friedrich Foldenauer vom BDM.
Während die Molkereien auf die Einkaufsmacht der Discounter verweisen, sieht der Handel die Ursache des Preisrückgangs in der Überproduktion der Milchbetriebe.
Die Produktionsmenge ist für jeden Milchbetrieb durch das Milchquotensystem der EU vorgeschrieben. Tatsächlich hat die EU-Kommission den Milchbauern im April gestattet, ihre Milchproduktion in diesem Jahr um zwei Prozent zu erhöhen. Im Zuge des wachsenden Angebots sind die Preise gesunken. Jährlich soll die Produktionsmenge um ein Prozent wachsen, bis das Milchquotensystem im Jahr 2015 abgeschafft wird.
Die Milchbauern kritisieren zudem den Deutschen Bauernverband: "Der Kampf der Milchbauern ist die härteste Auseinandersetzung, die vor dem Bauernverband liegt", sagte Janssen. Tatsächlich sind viele der insgesamt rund 100.000 deutschen Milchproduzenten zum Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) übergelaufen. Hatte der BDM im Jahr 2005 gerade einmal 2.500 Mitglieder, sind es heute über 32.000. "Der Deutsche Bauernverband hat versagt", sagte BDM-Sprecher Friedrich Foldenauer.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) weist die Kritik zurück. "Wir sind uns alle einig in dem Ziel, die Preise für die Milcherzeuger zu stabilisieren", sagte DBV-Sprecherin Agnes Scharl der taz: "Der BDM will mit seiner Aktion aber einen Keil zwischen die Landwirte treiben, denn viele Milchbauern wollen keinen Streik." Der DBV appellierte am Dienstag an ein "solidarisches Handeln der Molkereien". Mit Appellen wollen sich die Milchbauern aber nicht zufrieden geben: "Wir Milchbauern werden so lange kämpfen, bis wir auf gleicher Augenhöhe mit Molkereien und der Politik verhandeln", sagte AbL-Sprecher Georg Janssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück