: Unterm Strich
Diese Kurzmeldung handelt nicht mehr ausschließlich von der Wahrheit. Diesmal geht es zusätzlich um Leben und Tod, jene Themen der Dies- und Jenseitigkeit, die uns in dieser Redaktion aus unterschiedlichen Gründen beschäftigen: Die eine will heiraten, der andere erwägt den Kirchenaustritt (endlich!), die dritte plant den Sprung von der Brücke ins Weihwasser. Ein unbemannter Pappkörper bisher unbekannter Sprengkraft findet sich inmitten eines bedrohlich schwarzen Bekennerschreibens, das gestern bei uns einging. Wir zitieren im Wortlaut: „Detonator X, geb. in den biokybernetischen Laboratorien des westlichen Untergrunds. Beschaffenheit: 50% Mensch, 50% Maschine. Beruf: Media Tourist. Offene Aktionen: Die Kolumne in 'Theater Heute‘ (Splatter-Videos, Wrestling-Spektakel ...) Undercover-Tätigkeit: Manipulation des Wahrnehmungsgehalts der Menschen, direkte Steuerung durch konkrete Aktionen. Zwischenziel: Ruhm, Sex, Reichtum. Endziel: World Detonation.“ Die konkreten Angriffsziele lokalisieren sich wie folgt: „Die 7 Todsünden des Theaters. 1. Bildungsbürgerliche Zitiermanie: Auf der Bühne keine dramatische Handlung, sondern ein Potpourri möglichst beliebiger und abwegiger Sekundärliteraturaspekte — der Zuschauer rät brav mit, ob sich die Lösung bei Benjamin, Barthes oder Bailey's finden läßt. Muß sich eigentlich jedes BRD-Theater einen DDR-Hausregisseur halten? 2. Dumpfdeutscher Mystizismus: Graue Menschen wandern durch symbolüberfrachtete mittelalterliche Endzeitlandschaften. 3. Hysterie: Vor allem regieführende Frauen wie Hans Neuenfels lassen Schauspielschüler künstlich herumschreien und herumleiden (...). 4. Altjuppies schauen in den Spiegel: Botho Strauß' Designermöbelversion von Übel Nr.2. Ständiges Kichern, absolut vergebliche Sinnsuche. 5. Die freie Assoziation: Der Zuschauer soll im Kopf sein eigenes Theaterstück erfinden, deshalb passiert auf der Bühne nichts, und zwar stundenlang. Vorschlag an Wilson und Freiyer: Auf Matratzen träumt es sich schöner als auf harten Klappstühlen. 6. Blinder Inszenierungsaktionismus: Was früher gut und richtig war, ist heute nur noch Abbild einer kritischen Haltung. Peymann (...) weiß nicht mehr, was er eigentlich warum will. Aber alle wollen es ihm nachmachen. 7. Selbstzweck. Peter Stein: die wohltemperierte Kapitulation vor dem System, der Gesellschaft, dem Leben und dem JETZT.“ Wir halten das Bekennerschreiben für echt. Wir übernehmen keine Verantwortung für das stempelgezeichnete Schriftstück und geben zu bedenken, daß auch das Theater am Turm in Frankfurt, was uns die Angelegenheit eingebrockt hat, nicht zu Auskünften autorisiert ist. Wir wissen nur, daß Sie, verehrte KurzmeldungsleserInnen, von Detonator X dazu eingeladen sind, im besten Pullover am 7. Mai in der Daimlerstraße 32 in Frankfurt a.M. lächelnd der Dinge zu harren, die da unweigerlich kommen werden. Seien Sie unvoreingenommen. Der Mann, der Sie dort empfangen wird, nennt sich übrigens Claus-Oliver Rudolph, aber nur, wenn Sie ihm das Password Appetite for Destruction zuraunen.
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