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Unterm Strich

Jahrelang hat Anneli Bauer, Bibliothekarin in Oberhausen, in einem Schuhkarton gesammelt, was so aus zurückgegebenen Büchern gefallen war. Jetzt hat die Kustodin der Vergeßlichkeit 300 ausgewählte Buchmemorabilien zu einer Ausstellung arrangiert, die derzeit in der Oberhausener Stadtbibliothek zu sehen ist. Seltsame Dinge werden da als Lesezeichen benutzt. Eine kleine Auswahl: ein Päckchen Nähgarn, eine Nagelfeile, eine Fotofolge mit herumhopsendem Hasen, Eintrittskarten für eine Party— Show in San Francisco, desgleichen für eine Pelzmodenschau, mehrere Bierdeckel, ein 100-DM-Schein, ein Lotto-Gewinnschein, Diätpläne, Liebesbriefe, Zahnstocher, gepreßte Blumen und eine kleine Freiheitsstatue aus Messing. Die Kurzmelderin bittet erleichtert und herzlich um Rückgabe der urgroßmütterlichen Korallenohrstecker, mit denen sie seinerzeit zwei interessante Aufsätze geklammert hatte.

An der Berliner Friedrichstraße, ehemals Herz urbaner Belustigung und hauptstädtischen Amusements, werden – schön zu hören – nicht nur Büro- und Geschäftshäuser errichtet. An der „Wahnsinnsmeile“ (dpa knallt allmählich durch) etabliert sich derzeit mit dem Satiretheater „Kneifzange“ das dritte Kabarett vor Ort. Die „Kneifzange“ war zu DDR-Zeiten, „mehr oder weniger belastet“, für die satirische Truppenbetreuung der NVA abkommandiert. Dank des Sponsorings einer Brauerei sei der Spielbetrieb im Internationalen Handelszentrum für fünf Jahre gesichert. Die Spielstätte wird innerhalb von 24 Stunden zum Monatsende umgebaut. Diese völlig neue, geradezu unberlinerische Tempovorgabe veranlaßt uns zu der besorgten Überlegung, ob die Zusage der Brauerei sich nicht vielmehr auf eine fünfjährige Bauzeit bei einer anschließenden Kürzestöffnung von 24 Stunden bezieht. Das wäre berlinerisch. Wahnsinn!

Textaufgabe: Einen Monat nach ihrer Eröffnung erwartet die Ausstellung zum Berliner Schloßgespenst ihren 50.000 Besucher. Eine Schlütersche Fensterachse an der Fassade, die derzeit als Plastikplane über die Linden weht, ist für sage und schreibe 400.000 DM zu haben. Aus Sandstein und in Handarbeit. Demnach ergäbe sich für die Gesamtfassade ein Betrag von 27,5 Millionen DM. Wie viele Fensterachsen hatte das Berliner Schloß? Und wieviel Mark muß jeder der 50.000 Besucher dafür bezahlen?

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