: Unterm Strich
Nun ist es schon passiert, die Kurzmeldungen laufen aus dem Ruder, die journalistische Ethik marschiert mit Pauken und Trompeten in den sicheren Untergang, die Metaphern fliegen uns wie Schrapnelle um die Ohren, besinnungsloser Gesinnungsjournalismus macht sich unter dem Strich breit: Noch mehr Bekenntnisse! Aber es ist nicht unsere Schuld, eine Äußerung des kulturpolitischen Sprechers der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus hat das kleine Zitatmaschinchen im Kopf in Gang gesetzt, und nun will es sein Zeug loswerden, bevor es sich wieder beruhigt. Herr Albert Eckert hat nämlich gesagt, seine Fraktion halte am Prinzip der Staatsferne fest, und solch ein Bekenntnis ist, wiewohl staatsmännisch gestelzt daherkommend, Musik in unseren Ohren. Den unerfreulichen Kontext dieses Satzes, diese ewigen peinlichen Verhandlungen um die ideologische Säuberung der Ost-Akademie, wollen wir da lieber mal gleich vergessen. Staatsferne, jawoll, kann nie ganz falsch sein. Her mit den „Staatsferne – find' ich gut!“-Aufklebern! Und bevor jetzt die älteren Genossen daherkommen, uns junge Laffen bei den Löffeln packen und uns Provinzialität und Infantilität etc. vorwerfen, greifen wir zu dem Testament des Historikers Theodor Mommsen (1817–1903), geschrieben am 2.9.1903, in dem sich folgendes schöne, nüchterne Bekenntnis findet: „Ich habe in meinem Leben trotz meiner äußeren Erfolge nicht das Rechte erreicht. Äußere Zufälligkeiten haben mich unter die Historiker und Philologen versetzt, (...) und das schmerzliche Gefühl der Unzulänglichkeit meiner Leistungen, mehr zu scheinen, als zu sein, hat mich durch mein Leben nie verlassen und soll in einer Biographie weder verschleiert, noch manifestiert werden. (...) Politische Stellung und politischen Einfluß habe ich nie gehabt und nie erstrebt; aber in meinem innersten Wesen, und ich meine, mit dem Besten was in mir ist, bin ich stets ein animal politicum gewesen und wünschte ein Bürger zu sein. Das ist nicht möglich in unserer Nation, bei der der Einzelne, auch der Beste, über den Dienst im Gliede und den politischen Fetischismus nicht hinauskommt. Diese innere Entzweiung mit dem Volke, dem ich angehöre, hat mich durchaus bestimmt, mit meiner Persönlichkeit, soweit mir dies irgend möglich war, nicht vor das deutsche Publikum zu treten, vor dem mir die Achtung fehlt. Ich wünsche, daß auch nach meinem Tode dasselbe mit meiner Individualität sich nichts zu schaffen mache. Meine Bücher mag man lesen, solange sie eben dauern; was ich gewesen bin, oder hätte sein sollen, geht die Leute nichts an.“
Und noch etwas für unsere hoffentlich recht staatsferne Kundschaft: Ein Almanach linker Literatur ist beim Verlag W. Richter in München in Vorbereitung. Buchhandlungen und Verlage mögen sich melden unter Pf. 801466, 81614 München, Fax (089) 487621.
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