: Unterm Strich
Der Psychoanalytiker Jacques Lacan war der letzte der maitres à penser der französichen intellektuellen Szene. Zwölf Jahre nach seinem Tod erscheint nun in Frankreich eine umfassende Biographie, die seinen Ruhm bei Freund und Feind zementieren wird. Le nouvel Observateur druckt Auszüge daraus und macht sein Dossier mit jener reißerischen Frage auf, die einst die französische Debatte um Kafka ins Rollen brachte: „Faut-il brûler Lacan?“ Das ist reichlich irreführend, denn wer nun eine Debatte um Lacans politische Inkorrektheiten erwartet, wird enttäuscht: Über zwölf Seiten arbeiten sich Autoren wie Philippe Sollers, Didier Eribon und Cathérine David an dem letzten Titanen der Pariser Intelligenzija ab, und der ist, wie es der landesübliche Personenkult will, am Ende larger than life. Unschwer erkennt man da eine gehörige Nostalgie: Kein Glucksman, kein Henry-Lévy, kein Finkielkraut wird dieses Format je ausfüllen können. Entschädigt wird man allerdings durch biographische Details, die so bizarr sind, daß man nicht auf die deutsche Übersetzung warten mag.
Lacan ist wegen – gelinde gesagt – ungewöhnlicher Behandlungsmethoden aus der Psychoanalytischen Vereinigung ausgeschlossen worden. Die Biographin Elisabeth Roudinesco bringt Licht in diese „Methoden“: Lacan empfing seine Analysanden zuweilen in Hausmantel und Pantoffeln, überließ sie abrupt sich selber, um sich zu rasieren, ließ sich während der Sitzungen maniküren, frisieren, von seinem Schneider neue Kleider anmessen, griff sich unvermittelt ein Buch aus dem Regal, um daraus zu zitieren. Manche Stunden fanden später auch im Café les Deux Magots statt und waren ganz der Interpretation der Gesten des Meisters gewidmet. Ein ziemlich herrschsüchtiger, manchmal sadistischer Arzt.
Roudinesco hat auch jenes Treffen rekonstruiert, das Lacan 1955 mit dem Heidegger Martl zusammenbrachte, der damals in Deutschland noch politisch desavouiert war. Heidegger scheint, wenn man sich den Inhalt zweier Briefe von 1966 vor Augen hält, die die Forscherin ans Tageslicht bringt, Lacans Zuneigung niemals erwidert zu haben: Im ersten nennt er dessen dunklen Stil mit sanfter Herablassung „manifestement baroque“. Im zweiten kommentiert er einen Brief aus Lacans Hand: „Mir scheint, daß der Psychiater einen Psychiater braucht.“
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