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Unterm Strich

Nach dem „Jahr der Familie“ hat die UNO für 1995 das „Jahr der Toleranz“ ausgerufen. Und nach Lissabon ist nun Luxemburg Kulturhauptstadt Europas. Das selbstgewählte Motto geht – ganz im UNO-Geiste – darüber aber noch hinaus: „Stadt aller Kulturen“ heißt der programmatische Titel des Festivalprogramms. Immerhin stellen Ausländer rund ein Drittel der Bevölkerung, in der Hauptstadt selbst gar die Hälfte. So fühlen sich die Luxemburger als „Mittelpunkt des kulturellen Austausches“, zumal Luxemburgs Bewohner mit ihren drei Sprachen Deutsch, Französisch und dem „Lätzebuergische“ (und vor allem damit!) für den internationalen Dialog qualifiziert sind. Offizieller Auftakt ist am 13. Januar mit der Aufführung von Michael Tippets Oratorium „A child of our time“. Vom 14. Januar bis 26. März sind im neueingerichteten Casino 250 Arbeiten französischer Postimpressionisten zu sehen, darunter Cézanne, van Gogh, Matisse, Renoir und Rouault. Am 21. Januar inszeniert Alexej Schipenko sein Stück „Moskau-Frankfurt – 9.000 Meter über der Erdoberfläche“. Wir halten es für unerläßlich, sich bis dahin so schnell wie möglich einige Brocken Lätzebuergsches anzueignen. Schließlich stehen wir doch alle gern im Mittelpunkt. Und wollen mitmachen, beim großen internationalen Dialog.

TheaterregisseurInnen nehmen Botho Strauß in Schutz. In der Januar-Ausgabe von Theater heute – die im Dezember gegen seinen Willen zwei Briefe von Strauß abgedruckt hatte, in denen er zum Erscheinen seines umstrittenen Essays „Anschwellender Bocksgesang“ in einem Sammelband mit Beiträgen konservativer und politisch rechts stehender Autoren Stellung nahm – haben sie sich in Leserbriefen hinter Strauß gestellt. Im Gegensatz zu Theater heute wollen Jürgen Flimm und Wolfgang Wiens vom Hamburger Thalia Theater, aber auch Andrea Breth von der Berliner Schaubühne, „nicht Abschied von Strauß nehmen“. Michael Wachsmann von den Münchner Kammerspielen nannte es scheinheilig, Strauß einen Widerruf für seine Buchveröffentlichung abzuverlangen, und der Chefdramaturg des Deutschen Theaters Berlin verteidigte Strauß' umstrittenen Text. Er sei ein „Anstoß zur Überwindung geistiger Trägheit“, der schmerze, aber heilsam wirke. Luc und François Bondy warfen der Zeitschrift „Unlauterkeit“ vor.

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