: Unterm Strich
Ute Lemper, Wahl-Pariserin aus Münster, es muß einmal gesagt sein, hat sie wirklich nicht mehr stramm: Schon dieser angeberhafte Titel ihres dieser Tage im Henschel Verlag erscheinenden Buchs – „Unzensiert“. (Als bestünde die Gefahr, daß ihr jemand den Mund verbietet! Als müßte sie sich mutig gegen Mullahs behaupten!) Nach den ausgewählten Zitaten, die uns dpa schickt, sind Zensurwünsche allerdings auch bei uns, die wir in dieser Hinsicht sonst zu erzliberalen Positionen neigen, kaum noch zu unterdrücken. „Wieder habe ich meine Haare in Berlin rot gefärbt, diesmal für die ,Lola‘“, schreibt Lemper. „Es ist wie ein Signal, wie ein Aufrütteln meiner selbst. Durch Berlin definiere ich meine Identität und meine Fraulichkeit neu. Ich befinde mich mitten in einem der interessantesten Geschichtsromane unseres Jahrhunderts und freue mich, nach meinem abendlichen Flug als ,Blauer Engel‘ immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren, um keine Zeile des Kapitels ,Suche nach dem verlorenen Ich‘ im Buch ,Berlin‘ zu verpassen.“ Uff! Weiter: „Wenn ich in Deutschland leben sollte, dann nur in Berlin.“ (Gott bewahre!) „Wir radelten fröhlich pfeifend und gleichgültig an Minenfeldern und Stacheldrähten vorbei – groteske, zeitgenössische Schnoddrigkeit“, erinnert sich „La Lemper“ an ihre stillen Tage im Klischee. Und dann geht es richtig los im besten Leitartiklerton: „Hier siegt die Realität mit krassem Antlitz über jede politische Floskel und Schönfärberei aus Bonn, dem provinziellen, kleinbürgerlichen Nest, in das sich unsere Bundesspitzen eingebettet haben.“ Daher müsse der „ganze Politikerclan raus aus dem schonenden Mutterbau Bonn“, aber: „Natürlich schreien sie alle. Jede Geburt ist ein Schock und tut weh.“ Aber auch danach hat es noch kein Ende. Denn niemand ist ganz zu Ende geboren, der nicht der Lemperschen Prosa ins krasse Antlitz und unter die schön gefärbten Bundesspitzen geschaut hat. Natürlich schreien sie alle. Denn das tut weh. Aber was wäre denn die Alternative? Etwa die Suche nach der verlorenen politischen Floskel im Branchenbuch „Berlin“? Die Haare rotgefärbt, die Fraulichkeit aufgerüttelt, und dann doch wieder zurück in den schonenden Mutterbau? Groteske Schnoddrigkeit! Gar nicht auszudenken, das! Ein Sieg der Realität auf dem Boden der Tatsachen. Fröhlich pfeifend.
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