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Unterm Strich

Manchmal sitzt selbst den Schwaben der Schalk im Nacken. Wo früher bloß der Bruttler bruttelte, lassen sich jetzt Quotenhengste so Geschichten einfallen, in denen der Reichstag nach einem Bombenanschlag vollständigst und dick und fett und komplett verwüstet wird. Dieserart vom Süddeutschen Rundfunk (SDR) produzierte Satire, die unsereins hier in Berlin gern real erlebt hätte, hat am Freitag „vorwiegend empörte Reaktionen provoziert“, wie dpa meldet. Das „Hörstück“ wurde etwa zeitgleich mit der Enthüllung des Berliner Reichstags gesendet. Es folgten „Reaktionen“ von Christo selbst, Politikern bis zum Ad-hoc-Kommentar und zum Interview mit dem mutmaßlichen Attentäter. Auf das realistisch wirkende Stück habe jedoch etwa ein Drittel der Anrufer „durchaus angetan“ reagiert, sagte der verantwortliche SDR-Redakteur Eberhard Klasse auf Anfrage. Er sei unter anderem als „schlechter Deutscher“ beschimpft worden. Die kurz nach den Nachrichten ausgestrahlte „Sondersendung Brennpunkt Reichstag“, die das ausgedruckte Programm vom „Troubadour aus Bern“ nach anderthalb Minuten unterbrach, sollte provozieren, betonte Klasse. Es sei aber auch als eine Hommage an Orson Welles gedacht gewesen. Der berühmte Regisseur hatte als junger Rundfunkmann Ende der dreißiger Jahre in einem der ersten derartigen Experimente von einer Invasion der Außerirdischen berichtet, was in den USA zu einer Panik führte.

Der Förderkreis „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ hält nach den jetzt lautgewordenen Bedenken für den ausgewählten Wettbewerbsentwurf einen Konsens noch für möglich. Der Vorsitzende der Jury des Wettbewerbs, der Berliner Akademiepräsident Walter Jens, deutete inzwischen ein Umdenken an und meinte, falls es keine Einigung gebe, sollte man sich in Deutschland auf die Renovierung der KZ- Gedenkstätten konzentrieren. Einen neuen Wettbewerb hält er für „puren Aberwitz“. Unklar bleibt bei diesen Äußerungen allerdings, ob es sich bei der Pflege der KZ-Gedenkstätten um eine Alternative zum Denkmal handelt. Neben Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hatten auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, und andere Persönlichkeiten aus Politik und Kultur Bedenken geäußert. Die Initiatorin des Förderkreises, Lea Rosh, sagte am Freitag im Rundfunk (Radio Niedersachsen): „Wir halten an der Entscheidung fest, davon wollen wir nicht abrücken, aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, zu einem Konsens zu kommen.“ Der Förderkreis erwarte jetzt ein Gesprächsangebot des Bundeskanzlers, sagte Rosh, auch NDR-Landesfunkhauschefin in Hannover. Bubis erneuerte inzwischen seine Bedenken gegen den ausgewählten Wettbewerbsentwurf und hofft darauf, daß sich die Auslober des Wettbewerbs noch verständigen, sagte er am Freitag abend in Berlin.

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