: Unterm Strich
In einem der nach Ansicht von Experten bedeutsamsten Prozesse um die sogenannte Beutekunst hat die Stadt Gotha einen Rückzieher gemacht. Wie der Mitteldeutsche Rundfunk am Sonntag berichtete, hat der Stadtrat am vergangenen Mittwoch in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen, aus einem Prozeß gegen das britische Auktionshaus Sotheby's und eine Firma aus Panama vor einem Londoner Gericht auszusteigen. In dem Rechtsstreit ging es um ein 1945 von einem sowjetischen Offizier aus dem Stadtmuseum in Gotha gestohlenes Bild eines niederländischen Meisters.
Grund für den Ausstieg der Stadt seien die immensen Prozeßkosten. „Wir können keinen Musterprozeß für Deutschland führen. Dies übersteigt unsere finanziellen Möglichkeiten bei weitem“, sagte ein Sprecher dem MDR. Das Tauziehen um die Finanzierung des Verfahrens in London dauert bereits drei Jahre. Erst vor wenigen Monaten hatte das Bundesinnenministerium seine Zurückhaltung aufgegeben und erklärt, gemeinsam mit dem Land Thüringen 90 Prozent der Verfahrenskosten zu übernehmen. Offenbar spielte das Land jedoch nicht mit. „Fachleute haben uns davor gewarnt, diesen Prozeß zu führen, das könnte Millionen kosten“, sagte der Sprecher des Thüringer Kulturministeriums, Herbert Rausch. In einem Gutachten des Schweizer Rechtswissenschaftlers Kurt Siehr heißt es laut MDR: „Legt man nun die Hände in den Schoß und ließe den Prozeß der Stadt Gotha fallen, würde London ein Eldorado für gestohlenes deutsches Kulturgut werden, das vor unserer Tür so gehandelt wird, als wäre es legitimer Besitz osteuropäischer Einlieferer.“
Nach Ansicht des Kunstfahnders und Historikers Willi Korte müssen Kunsthehler nun keine Angst vor gerichtlichen Schritten von deutscher Seite haben. Nach seinen Angaben lagern 1,5 Millionen deutsche Kunstschätze in russischen Museumsmagazinen. Das in Gotha gestohlene Bild des niederländischen Malers Joachim Wittewael (um 1566–1638) mit dem Titel „Die heilige Familie“ war 1991 auf Umwegen aus Rußland kommend dem Auktionshaus Sotheby's in London angeboten worden. Der Verkauf wurde vorläufig verhindert. Seitdem streiten das Bundesinnenministerium und das Land Thüringen, wer die Prozeßkosten zahlen soll. Der Wert des Gemäldes wird auf zwei Millionen Mark geschätzt.
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