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Unterm Strich

Werkverfälschung birgt Gefahren: Hätte man in der Wiener Staatsoper Richard Wagners „Rienzi“ im Sinne seines Erfinders aufgeführt, wäre des Hauptdarstellers Mantel nicht in Flammen aufgegangen. Doch der Regisseur David Poutney hatte sich entschlossen, Rienzi, der von Glenn Winslade gegeben wurde, nicht wie im Original erdolchen zu lassen, sondern ihn vielmehr mit Hilfe einer Bombe aus dem Leben zu schaffen. Diese Bombe nun entzündete unplanmäßig den Mantel des Hauptdarstellers und drohte auf die ganze Bühne überzugreifen und eine kleine Götterdämmerung herbeizuinszenieren. Aber alles ging gut aus. Winslade trug den Mantel zur Zeit des Anschlags gar nicht, und mutige Menschen verhinderten ein Übergreifen des Feuers. Die Aufführung wurde planmäßig zu Ende gebracht.

Hamburg hat am Sonntag seines großen toten Theaterhelden gedacht. Mit Ausschnitten aus Filmen, Theateraufführungen und Gesprächen mit Ulrich Wildgruber haben Kollegen und Weggefährten an den Künstler erinnert, der am 30. November Selbstmord begangen hatte. Im Deutschen Schauspielhaus, das die Matinee gemeinsam mit den Hamburger Kammerspielen gestaltete, würdigten die Schauspieler Otto Sander, Ulrich Tukur, Christa Berndl und Eva Mattes und der ehemalige Schauspielhaus-Intendant Ivan Nagel den großen Schauspielkünstler. Hunderte von Zuschauern kamen, um noch einmal von Wildgruber Abschied zu nehmen, der 62-jährig tot am Strand von Sylt gefunden worden war. Der Leiter der Hamburger Kammerspiele, Ulrich Waller, deutete Wildgrubers Freitod als ein Zeichen. „Er hat zum Schluss öfter gesagt, er sei ein Auslaufmodell. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass im Theater das Band zwischen den Generationen zerreißt: Zwischen den gut ausgebildeten fundierten alten Schauspielern und den jungen Theatermachern, die in Mode sind.“ Ivan Nagel erinnerte an Wildgruber in der Titelrolle von Peter Zadeks spektakulärer „Othello“-Inszenierung von 1976 am Hamburger Schauspielhaus: „Wildgruber war der schönste, grässlichste und mutigste Nigger in der Geschichte des deutschen Theaters“, sagte Nagel.

Im Alter von 83 Jahren ist die frankokanadische Dichterin Anne Hebert gestorben. Anne Hebert, am 1. August 1916 in der Nähe von Quebec geboren, verbrachte einen Großteil ihres Lebens in Kliniken. „Die Tatsache, dass ich schreibe, ist ein Signal, dass ich lebendig bin“, sagte sie einmal. In deutscher Übersetzung liegt die Novelle „Das wilde Herz des Flusses“ vor, in der die Geschichte einer Verführung erzählt wird. Als ihr bestes Buch gilt der Roman „Kamouraska“, der später verfilmt wurde. 1977 übersiedelte Hebert nach Paris und meinte dazu: „Montreal ist zu amerikanisch, Quebec ist zu klein, und Paris ist sehr, sehr schön.“

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